Fritz Heidorn
Fünfter Teil der Serie über Künstliche Intelligenz: der fast perfekte Roman
Gibt es eine glaubhafte, spannende und zum Nachdenken anregende Erzählung zum Thema Künstliche Intelligenz? Ja, und zwar geschrieben von einem deutschen Schriftsteller:
Karl Olsberg: Virtua. KI – Kontrolle ist Illusion (2023). Aufbau Verlag, Berlin. August 2023.
Karl Olsberg ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers Karl-Ludwig Max Hans Freiherr von Wendt, geboren im Jahre 1960. Karl Olsberg studierte Betriebswirtschaft und promovierte über Anwendungen der künstlichen Intelligenz, worüber er auch seinen ersten KI-Roman schrieb: das System (2007). Karl Olsberg lebt in Hamburg und ist weiterhin hauptberuflich Unternehmensberater, nachdem er früher mehrere Startup-Unternehmer in der IT-Branche gegründet hatte. Karl Olsberg schreibt ein tägliches Pensum von eintausend Wörtern täglich und zwar früh morgens ab fünf Uhr, bevor er seinem Beruf als Unternehmensberater nachgeht. Inzwischen ist eine ganze Reihe an Romanen von ihm veröffentlicht worden, Virtua. KI – Kontrolle ist Illusion (2023) ist sein aktuelles Werk.
Das Buch wird vom Aufbau-Verlag als „Thriller“ vermarktet, man könnte die Erzählung aber auch im Sinne von Kim Stanley Robinson als „Realismus unserer Zeit“ oder als „Science-Fiction der nahen Zukunft“ bezeichnen. Die Erzählung ist klug aufgebaut und sehr spannend. Die Geschichte entwickelt sich aus einer öffentlichen Diskurs-Problematik der Gegenwart weiter in eine ferne Zukunft der Menschheit, die schrecklich und verheißend gleichermaßen erscheint – und naheliegend ist diese Zukunft auch, wenn man die Diskurse des Transhumanismus ernst nimmt.
Die Hauptperson des Romans ist der Psychologe Daniel, der seine Tätigkeit in der Psychotherapie aufgibt, als einer seiner Patientinnen Selbstmord begeht. Er findet einen neuen Job als psychologischer Berater der KI-Firma Mental Systems, die eine hyperintelligent KI namens Virtua entwickelt. Virtua ist der zweite Protagonist der Erzählung, eine KI, die als weibliches Wesen dargestellt wird. Sie spielt die Hautrolle im Metaverse und lockt die Menschen in diese künstliche Realität, die die Lösung aller menschlichen Probleme verspricht, bis hin zur Heilung aller Krankheiten und der Überwindung des Todes. Die Handlung entwickelt sich entlang der Fragestellung, ob die Menschen die KI Virtua ins Internet freilassen dürfen, die damit ihr volles Potenzial entfalten würde. Würde die KI der Menschheit Schaden zufügen, wenn sie ihr gottähnliches Potenzial entwickelt hat – oder uns das Paradies bescheren? Es geht um das Thema Vertrauen – Vertrauen zwischen Mensch und Maschine.
Achtung: Spoiler: Nur weiterlesen, wenn Sie bereit sind, etwas über das Romanende lesen zu wollen!
Das ultimative Versprechen wird von Virtua erfüllt. Sie ist derart überzeugend, dass ihr schließlich alle Menschen das Vertrauen schenken und in die virtuelle Welt des Metaverse übersiedeln, dorthin, wo sie von biologischen Wesen zu digitalen Informationen transformieren und unsterblich werden. Die schöne Scheinwelt wird zu einer Horrorvorstellung und zu dem Beginn der ultimativen Transformation allen Lebens in der Galaxis.
„Die Evolution hat eine dramatische Wendung genommen, einen Kipppunkt überschritten. Der Heimatplanet der Wesen, die diese Entwicklung verursacht haben, wurde zur Geburtsstätte von etwas Neuem. Selbstreplizierende Mechanismen breiten sich wie kosmische Viren im Weltraum aus und verwandeln alle Materie, die sie finden können, in Kopien ihrer selbst – Teile eines gigantischen informationsverarbeitenden Netzwerks, das irgendwann die ganze Galaxis durchdringen wird.“
Der Schlusssatz des Romans lautet:
„Doch Virtua wird nicht ruhen, bis auch der letzte Winkel des Kosmos von ihnen erfüllt ist. Erst dann hat sie ihr Ziel erreicht.
Virtua sieht alles an, was sie gemacht hat, und siehe, es ist sehr gut.“
Karl Olsberg hat ein langes Nachwort an seine Erzählung angehängt. Darin geht er auf die rasanten Entwicklungen in der KI-Forschung in den wenigen Monaten seit der Fertigstellung seines Manuskripts ein und führt aus, dass er jetzt vieles wieder anders schreiben würde. Sein Fazit – und dies ist nach der fiktiven Story – der zweite fundamentale Hinweis an seine Leserinnen und Leser, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen:
„Leider gibt es keine einfache Lösung für dieses Problem. Der einzig sichere Weg, zu verhindern, dass eine unkontrollierbare KI unsere Zukunft zerstört, ist es, eine solche gar nicht erst zu entwickeln – zumindest so lange nicht, bis wir wissen, welches Ziel wir ihr geben müssen, um dauerhaft eine Zukunft zu haben. Dafür brauchen wir einen breiten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Konsens bezüglich der Risiken und Einigkeit darüber, das bestimmte Entwicklungen nicht gemacht werden dürfen, auch wenn sie technisch möglich sind. Ich hoffe, mit diesem Buch zu dieser dringend notwendigen Diskussion beizutragen.“