Der Garten der Zeit

Fritz Heidorn

Sommerzeit ist Gartenzeit. Gartenzeit ist für die einen die gewollte Mühsal zur Entspannung als Gartenarbeit – oder für die anderen die innere Einkehr zur Ruhe und Besinnung, oft in Kombination mit einem guten Buch an einem schönen Ort unter einem Baum. Ein Gartentag ohne Buch ist für sie ein verschenkter Tag, denn an welch anderem Ort kann man dermaßen entspannt lesen und verstehen, was die Welt draußen bewegt, wenn nicht im Garten?

Gartenzeit ist Zeit für Literatur und es gibt ein kleines Meisterwerk, das diesen Ort so außerordentlich magisch mit den Wundern großer Erzählkunst auflädt: die Kurzgeschichte The Garden of Time (1962) von James Graham Ballard.

Gärten haben mit Zeit zu tun

Jeder Gartenliebhaber weiß die jeweilige Mischung eines Gartens aus natürlicher Vegetationsabfolge, gestaltenden Eingriffen des Menschen und akzentuierendem Einsatz von Kunstelementen zu schätzen. Gärten sind Orte der Ruhe, Muße, Besinnung, kurz gesagt: Orte des Nachdenkens. Italienische Gärten bzw. Renaissancegärten sind eine Hochform der historischen europäischen Gartengestaltung, zusammengesetzt aus einer geometrischen Gestaltung mit Pflanzen und Kunstwerken rund um eine Villa. Renaissancegärten und Barockgärten gelten als Hochform der europäischen Gartenkunst.

Gärten haben mit Zeit zu tun, sie sind Oasen der Zeitlosigkeit. In Gärten finden aber auch Veränderungen statt, als jahreszeitliche Abfolge des Wachsens, Blühens und Verwelkens von Pflanzen. Dennoch scheint die Zeit in Gärten stillzustehen und die Insassen sind von der Realität außerhalb abgeschirmt. Gärten sind Orte mit einer doppelten Zeitstruktur; als Stillstand und als Veränderung. Gärten laden zum Verweilen, Staunen und zur inneren Einkehr ein. Gärten sind Orte der friedvollen Begegnung, des Gesprächs und der staunenden Naturbewunderung. Gärten sind Orte des Friedens im Zentrum des temporären Sturms ringsum.

Gärten besitzen Magie

Gärten besitzen Magie, sind Orte des Rückzugs und der Heilung und werden oft als Pforten in andere Zeiten, Zustände und Daseinsformen angesehen, wie dies beispielsweise in dem Fantasy-Film Der Geheime Garten (1993, 2020) so zauberhaft gezeigt wird. Es gibt mehrere Verfilmungen des zugrundeliegenden Buches Der Geheime Garten (1911) von Frances Hodgson, in dem die Autorin von der in Indien geborenen Mary erzählt, deren Eltern in Indien gestorben sind und die jetzt bei ihrem adligen Onkel in England aufwachsen muss. Die gefühlskalte Beziehung zu ihrem Onkel und seiner Hausdame ändert sich, als Mary das Dienstmädchen Martha und ihren Bruder Dickon kennenlernt und den geheimen Garten der verstorbenen Lady, der Zwillingsschwester ihrer Mutter, entdeckt. Sie trifft auf ihren Cousin Colin, der in seinem Zimmer versteckt wird, weil er glaubt, todkrank zu sein. Das durch die Todesfälle der Zwillingsschwestern, der Mütter von Mary und Colin, belastete Familienverhältnis hellt sich langsam auf, als die Kinder die Magie des geheimen Gartens entdecken.

Der Garten der Zeit

Eine der schönsten Kurzgeschichten zum Thema „Zeit“ ist, so meine ich, die Erzählung The Garden of Time (1962) von James Graham Ballard. Diese knapp sechs Seiten kurze Erzählung, zuerst erschienen in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“, February 1962, enthält alles, was eine außerordentlich gute literarische Arbeit kennzeichnet. Es ist eine elegante, geheimnisvolle Elegie auf einen aristokratischen Rückzugsort und ebenso eine wundervolle Allegorie auf die Bedrohung durch die Abläufe der Zeit. Diese Kurzgeschichte ist eine dringende Leseempfehlung für alle, die sich mit dem Thema „Zeit“ beschäftigen wollen. Die Kurzgeschichte ist hier als pdf.-Dokument wiedergegeben.

THEGARDENOFTIME (pdf)