Intelligente Maschinen – das Imitationsspiel

Fritz Heidorn

Dritter Teil der neuen Serie bei zukunftskulturen.de über die Chancen und Risiken der Schaffung künstlicher Intelligenzen durch die Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Wir diskutieren hier einige wichtige Fragen zum Thema Künstliche Intelligenz und stellen zwei grundlegende Sachtexte vor, die den Leserinnen und Lesern die Dimension des Themas aufzeigen sollen. In den folgenden Beiträgen werden wir uns mit literarischen Narrativen über Künstliche Intelligenz beschäftigen und Leseanregungen geben.

Was ist eigentlich Intelligenz? Vor vielen Jahren bekam man als junger Student zu hören: Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst – was natürlich überhaupt nicht weiterhalf und von vielen Studierenden als unzureichender Beitrag der Psychologie zum Verständnis einer wichtigen Frage bewertet wurde. Ist Intelligenz eine rein menschliche Eigenschaft? Oder verfügen Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans, Delphine, Hunde, Katzen über Intelligenz? Gibt es gar intelligente Maschinen? Sind vollautomatisch fahrende Autos intelligent? Ist die Überwachungssoftware der Chinesen intelligent? Besitzt ein Smart-Home Intelligenz? Oder kann der kleine Roboter, der im Altenheim die Bewohner bespaßt, Gefühle verstehen und Gefühle ausdrücken?

Merkmale von Intelligenz

Zwei Forscher am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Innformationssysteme IAIS, Gerhard Paaß und Dirk Hecker, haben mit Künstliche Intelligenz. Was steckt hinter der Technologie der Zukunft? (2020) ein umfangreiches und interessantes Buch vorgelegt, in dem (fast) alle Fragen über künstliche intelligente Systeme beantwortet werden. Die Autoren berufen sich bei ihrer Beschreibung der Wesensmerkmale von menschlicher Intelligenz auf die Arbeiten von Howard Gardner und sein Buch Frames of Mind, the theory of multiple intelligences (1983), in dem er acht Dimensionen einer Theorie multipler Intelligenz vorstellt:

  1. Bewegungsintelligenz. Die Fähigkeit, den eigenen Körper zu fühlen und kontrollieren zu können.
  2. Bildlich-räumliche Intelligenz. Ermöglicht das Erkennen von Bildern und das Erfassen von räumlichen Zuständen.
  3. Sprachintelligenz. Das Verstehen von Sprache und die Fähigkeit zur angemessenen sprachlichen Formulierung von Sachverhalten.
  4. Logisch-mathematische Intelligenz. Ermöglicht die Analyse und Lösung logischer Probleme.
  5. Musikalische Intelligenz. Ist erforderlich, um Musik verstehen zu können und um selbst zu musizieren.
  6. Naturalistische Intelligenz. Die Fähigkeit, Natur zu beobachten, zu unterscheiden, zu erkennen und eine Sensibilität für Naturphänomene zu entwickeln.
  7. Zwischenmenschliche oder emotionale Intelligenz. In der Lage sein, die Absichten, Gefühle und Motive anderer Menschen zu verstehen und vorhersagen zu können.
  8. Selbstreflektive Intelligenz. Die Begabung, die eigenen Stimmungen, Antriebe, Motive und Gefühle erkennen zu können.

Nach diesem Kategoriensystem bewertet, gehen Gerhard Paaß und Dirk Hecker davon aus, dass man viele, aber eben nicht alle Dimensionen auf derzeitige KIs anwenden könne. Darüber berichten sie ausführlich in ihrem Buch.

Lernfähige Maschinen-Intelligenz

Es gibt lernfähige Computerprogramme, die Menschen in vielen Belangen überlegen sind, zum Beispiel beim Schachspielen und anderen Spielen wie GO oder selbst beim Pokern, in der medizinischen Diagnose, in der Vorhersage von 3D-Strukturen von Proteinen, bei der Spracherkennung und Übersetzung von Texten in andere Sprachen, kurzum, bei allen Problemlösungen, die auf der tiefen Analyse riesiger Datenmengen beruhen, die ein Mensch nicht verarbeiten kann, aber ein neuronales Netz.

Heutzutage können Künstliche Intelligenzen bereits sehr viel, auch die automatische Steuerung von Fahrzeugen ohne menschliche Assistenz beispielsweise. Die kalifornische Firma Waymo in Mountain View hat im Oktober 2018, als erste Firma überhaupt, die Behördenzulassung bekommen, um vollständig fahrerlose Autos, also PKWs ohne menschliche Sicherheitsfahrer, auf den Straßen Kaliforniens fahren lassen zu dürfen. Viele andere Automarken wie beispielsweise Tesla zeichnen sich bereits heute durch ein halbautomatisches Fahrsystem aus, mit dem man in einer Spur automatisch fahren kann, weil die Künstliche Intelligenz des Fahrzeugs durch ein Radarsystem, durch Infraschallmessungen und eine Reihe von Rundum-Kameras das Fahrzeug in seiner Umgebung vermessen und steuern kann. Die Grundlage dieser Fähigkeit ist eine hervorragende Sensorik, verbunden durch eine schnelle und entscheidungsfähige maschinelle Intelligenz.

Übrigens: Es gibt nicht mehr Unfälle auf den Straßen durch teil-automatische oder voll-automatische Fahrzeuge. Die Anzahl der Unfälle mit Teslas wurde nach einer Studie von Murasaki (2019) um 85% reduziert. Die Studie ist online zu finden bei Quora.com: Muralasa Murasaki. 2019. How many people have died in self-driving cars?

Kreative Maschinen-Intelligenz

Intelligente Computersysteme können aber bereits heute noch viel mehr, sie sind bereits zu einem kreativen Medium geworden und können Bilder neu komponieren, deutlicher gesagt: ein Algorithmus ist in der Lage, hochauflösende Portraits von nichtexistierenden Menschen zu erzeugen. Künstliche Intelligenzen können Geschichten erfinden und sogar Musik komponieren. Dies ist keine Spielerei von Computer-Nerds im heimischen Wohnzimmer mehr, sondern eine echte Anwendung von maschineller Intelligenz zur Vollendung des Nicht-Vollendeten bei kreativen Tätigkeiten von Menschen. Inwieweit die so komponierte Musik oder das Portrait einer Unbekannten gefällt ist eine andere Frage – an Menschen gerichtet.

So wurde beispielsweise die von einem Computer fertig komponierte Unvollendete von Franz Schubert im Februar 2019 in London aufgeführt und die Uraufführung von Beethovens unvollendeter 10. Symphonie in der Nach-Komposition durch eine Künstliche Intelligenz fand statt am 9. Oktober 2021 mit dem Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan.

The Imitation Game

Die Grundlage aller Überlegungen zur Programmierung künstlicher Intelligenzen geht zurück auf die Arbeiten des berühmten englischen Mathematikers Alan Turing (1912 bis 1954), der einen großen Teil der theoretischen Grundlagen für die Informations- und Computertechnologie schuf. Mit seiner Turingmaschine beschrieb er die Grundlagen der Theoretischen Informatik, im zweiten Weltkrieg trug Turing entscheidend zur Entschlüsselung der deutschen Chiffriermaschine ENIGMA bei und hatte somit einen entscheidenden Beitrag für den Sieg der Alliierten gegen Hitler-Deutschland geleistet. Das nach ihm als „Turing-Test“ bezeichnete Verfahren, das er selbst als „Imitation Game“ bezeichnete, legte den Grundstein für die Überprüfung von intelligenten Maschinen.

Turing war ein mathematisches Genie und er war schwul, weshalb er als Straftäter nach der damals geltenden repressiven britischen Rechtsprechung zur „chemischen Kastration“ verurteilt wurde. Diese inhumane Bestrafung trieb ihn in eine Depression und in den Suizid. Erst im Jahre 2009 entschuldigte sich der britische Premierminister Gordon Brown offiziell im Namen der Regierung für diese „entsetzliche Behandlung“ und würdigte seine außerordentlichen Verdienste während des Krieges. Am 24. Dezember 2013 schließlich sprach Königin Elisabeth II posthum eine königliche Begnadigung für Turing aus.

Alan Turing beschreibt in seinem berühmten Artikel Computing Machinery and Intelligence (1950) in der Zeitschrift „MIND. A Quarterly Review of PSYCHOLOGY AND PHILOSOPHY, No. 236, October 1950, seinen Test zur Diskussion der Frage „Can machines think?“ zunächst mit der Analogie, dass der Untersucher die hinter einem Vorhang verborgenen Personen, eine Frau und einen Mann, durch ein Frage- und Antwortspiel zu unterscheiden sucht. Er erweitert seine Fragestellung zur Unterscheidbarkeit dann auf Menschen und digitale Computer, schreibt über lernende Maschinen und beendet seine Überlegungen mit der zukunftsweisenden Aussage:

„We may hope that machines will eventually compete with men in all purely intellectual fields. But which are the best ones to start with? Even this is a difficult decision. Many people think that a very abstract activity, like the playing of chess, would be best. It can also be maintained that it is best to provide the machine with the best sense organs that money can buy, and then teach it to understand and speak English. This process could follow the normal teaching of a child. Things would be pointed out and named, etc. Again I do not know what the right answer is, but I think both approaches should be tried.

We can only see a short distance ahead, but we can see plenty there that needs to be done.”

„Wir können hoffen, dass Maschinen irgendwann in allen rein intellektuellen Bereichen mit dem Menschen konkurrieren werden. Aber welche sind die besten, um damit zu beginnen? Auch das ist eine schwierige Entscheidung. Viele denken, dass eine sehr abstrakte Tätigkeit, wie das Schachspiel, am besten geeignet wäre. Man kann auch behaupten, dass es am besten ist, die Maschine mit den besten Sinnesorganen auszustatten, die man für Geld kaufen kann, und ihr dann beizubringen, wie man Englisch versteht und spricht. Dieser Prozess könnte dem normalen Unterricht eines Kindes folgen. Man würde auf Dinge hinweisen und sie benennen, usw. Auch hier weiß ich nicht, was die richtige Antwort ist, aber ich denke, beide Ansätze sollten ausprobiert werden.

Wir können nur eine kurze Strecke vor uns sehen, aber wir können dort viel sehen, was getan werden muss.

Was Alan Turing vor mehr als siebzig Jahre dargelegt hat, bestimmt alle nach ihm kommenden Forschungen und Überlegungen zum Thema Künstliche Intelligenz. Was in der Gegenwart über mögliche Zukünfte im Umgang der Menschen mit Künstlichen Intelligenzen geschrieben wurde, wird Teil der nächsten Folgen sein.