Tschelyabinsk – Atomunfall, seltene Brutvögel und interkulturelle Kommunikation

Christoph Zöckler

Der Autor setzt seinen Reisebericht von einem ornithologischen Erkundungsprojekt in der russischen Steppe im Mai 1998 fort. Dr. Christoph Zöckler war im Auftrag der internationalen Naturschutzorganisation „Goose Specialist Group“ unterwegs, um seltene Vogelarten zu zählen und in ihren Biotopen zu studieren. Solche Projekte funktionieren nur durch die Zusammenarbeit mit Einheimischen, egal, wo man sich auf der Welt befindet. Der Reisebericht von Christoph Zöckler besticht allerdings besonders durch den Charme der Zusammenarbeit eines Norddeutschen mit russischen Kollegen und schildert die Eigentümlichkeiten der interkulturellen Zusammenarbeit. Die Erzählung schließt an seinen letzten Bericht über die Zeckenbisse in der Tundra an. (Die Redaktion).

In der Taiga

Ich befinde mich nun mit meinen neuen russischen Freunden und Markus aus Schweden in der südichen Taiga. Nicht endende Wälder ziehen am leicht beschlagenen und verschmierten Wagenfenster vorbei. Die Sicht ist nicht gut, aber es ist klar. Wir haben die Steppe verlassen. Einzelne offene steppenartige Stellen tun sich hin und wieder zwischen dem Wald auf.

Volodya, Markus und ich sind inzwischen weiter nach Norden mit dem Zug gefahren. In Varna im Tscheljabinsk Distrikt wurden wir von Volodyas Kollegen mit einem grossen umgebauten Lastwagen abgeholt. Wir sind nun zu acht auf Expedition. Ein weiterer Ornithologe, unser Expeditionsleiter Valerie, Alexander, ein Entomologe und Tatiana, eine Botanikerin, Loscha ein junger Student, sowie Edik unser Fahrer, der ohne so richtig zu verstehen, worum es wirklich geht, manchmal nur noch mit dem Kopf schüttelt. Zu sechst passen wir bequem aber ohne rechten Fensterzugang in den hinteren Wagenteil des alten umgebauten Militärfahrzeugs. Valerie sitzt vorne neben Edik. Volodya meint, dass Valerie sich den Wagen nach seinen Wünschen feldgängig und zur Unterkunft sozusagen als Campervan umgebaut hat. Er lebt schon viele Jahre hier und kennt die Gegend sehr gut.

Schon ziemlich bald fällt auf, das Valerie eine ungewöhnlich Einstellung zur Müllentsorgung hat, denn mehrmals fliegt eine Flasche, Dose oder Papier aus dem Beifahrerfenster an unseren Augen vorbei. Hin und wieder ist auch deutlich eine Vodkaflasche darunter zu erkennen. Er spricht wenig und eigentlich gar nicht englisch, hat aber einige Phrasen aufgeschnappt, die er nun hin und wieder zum besten gibt und die nächste Vodkaflasche die aus dem Fenster fliegt wird mit ‚wash ‚n go‘ , das er aus der Shampoo Reklame aus dem Fernsehen aufgeschnappt hat, begleitet, natürlich auch um Markus und mich, die seltenen ausländischen Gäste zu beeindrucken. Ich kann mein Lachen nicht unterdrücken, wenngleich ich auch empört über das ungehörige Verhalten bin und mit einem Auge auch das zunehmende Missfallen bei Alexander beobachte. Volodya ist ganz entspannt. Er hat dies alles schon so oft gesehen und erlebt. Ihn, der selber gar nicht trinkt, schockt so schnell nichts dergleichen und nun hat er endlich auch die Verantwortung an Valerie und Alexander abgegeben. Denen hat er auch von der Notwendigkeit einer weiteren Spritze für meine Infektion berichtet und sie werden sich darum kümmern.

Volodya, Markus, Valerie

Am Kaiseradlerhorst

Wir fahren zu einer Stelle, wo Valerie einen Kaiseradlerhorst kennt. In typisch russischer Manier trägt uns das sehr geländegängige Gefährt abseits des Weges fast bis unter den Horst. Hier ist die Vegetation wieder steppenartig und vereinzelte Bäume ragen mächtig aus dem gelben Gras hervor. In einem dieser Bäume, einer Birke, ist in acht Metern Höhe deutlich der riesige Horst zu sehen.

Unser Nachtlager stellen wir am Rande eines kleinen Flusstal des Togusuk auf. Ein sagenhafter Platz an einer schmalen Schlucht, umgeben von kleinen Felsklippen umrandet von Birkenwäldern, Schilf und Weidendickicht. Ein Lager ist schnell errichtet, ein Feuer entfacht und das Abendessen vorbereitet. Ein leckeres Nudelgericht mit Fleisch wird mit der unweigerlichen Flasche Vodka serviert. Die Stimmung ist herrlich. Es werden viele Geschichten erzählt, auch Anekdoten, wie die Witze auf russisch heissen. Valerie ist sehr lustig und trotz seines ungebührlichen Verhalten dennoch herzlich und in vieler Hinsicht sehr umsichtig und rücksichtsvoll. Markus und ich werden von allen zuvorkommend behandelt, aber auch den anderen gewährt Valerie gebührenden Respekt. Nur sich selbst gegenüber scheint er keine Rücksicht mehr zu nehmen.

Am Togusuk

Die Klangkulisse in der Taiga im Mai

Jetzt im Mai ist die Klangkulisse sagenhaft. Schlag- und Feldschwirle singen unentwegt. Der Sprosser schmettert dazwischen. Kreuzkröten bestimmen die Dämmerung mit ihren Trillern und der Ruf des Uhu schallt im Echo von den Felsen. Das beste hier aber sind die Lasurmeisen, die wir am nächsten Morgen zwischen den Birken beobachten können. Dies ist der Traum vieler europäischer Vogelbeobachter und dazu muss man schon in den Osten und nach Russland reisen. Wunderschön azurblau gefärbt, eine helle Meise ohne gelb, als wäre sie aus dem ewigen Eis entsprungen, die nordische Form unserer Blaumeise, die aber irritirenderweise wie eine Kohlmeise ruft. Wir finden sogar eine Höhle in die sie mehrfach hineinschlüpft und den brütenden Partner füttert.

Lasurmeise

Magnitogorsk

Wir müssen weiter und unser nächstes Ziel ist Magnitogorsk. Hier gilt es zwei Aufgaben zu erfüllen und besonders Alexander der sich ein wenig für uns verantwortlich fühlt ist besorgt. Es wird Zeit, dass ich meine dritte Antibiotika-Spritze bekomme und sie wissen nicht so recht, wie sie sie mir verabreichen können. In Magnitogorsk müssen wir ohnehin die Rückfahrkarte für den Zug nach Moskau kaufen. Vielleicht lässt sich dort am Bahnhof auch noch was anderes arrangieren. Die Stadt ist relativ gross mit ca. 400.000 Einwohnern. Grosse Eisenerzvorkommen bestimmen den wirtschaftlichen Betrieb der Stadt. Nach der Perestroika wurde die Stadt zum Zentrum des Eisenbahnbaus ausgebaut und eine grosse schwarze Lokomotive mit rotem Stern ziert den Bahnhofsvorplatz.

In der Bahnhofshalle herrscht ein grosses Gewühle und wie so oft ist es für mich völlig unübersichtlich. Valerie und Alexander versuchen, etwas für uns Ausländer scheinbar schier Unmögliches. Sie versteigen sich  im Menschengewirr vor diversen Schaltern im Versuch, für uns Fahrkarten zu erwerben. Es geht von einem Schalter zum anderen. Zwischendurch werden wir um unsere Pässe gebeten und wir schieben uns durch die Menschenmassen unsicher hinter den andern durch, bis Alexander sich auf einmal mit zwei Fahrkarten aus einer Menschentraube herausschält.

Nun gilt es noch die Impf-Aufgabe zu erfüllen. Dazu sollen wir zur Bahnhofsmission. Diese ist schnell gefunden und deutlich durch ein rotes Kreuz gekennzeichnet. Alexander und Valerie erklären zwei großen kräftigen Schwestern mittleren Alters in hellblauen Uniformen mit weissen Käppchen, worum es bei diesem Deutschen geht. Mit großem Vergnügen und breitem Lächeln und unter gleichzeitgig großer Erleichterung bei Alexander, werde ich von den beiden in eine Ecke hinter einem Vorhang gebeten. Nun heisst es Hose runter und die bereits fertige Spritze in der einen Hand und ein Klaps auf die Pobacke mit der anderen und die Spritze ist sehr professionel verabreicht, ohne dass ich auch nur im geringsten einen Einstich verspüre. Dies war natürlich eine sehr wilkommene Abwechslung für die sonst scheinbar wenig beanspruchten Schwestern. Wieder einmal bin ich beeindruckt von der guten Krankenversorgung, was zunächst in dem chaotischen Bahnhofsgetümmel unmöglich erschien. Alexander und die beiden Schwestern unterhalten sich noch ein wenig und vielleicht machen sie auch Alexander Mut, die letzte Spritze selber verabreichen zu können.

Europa oder Asien?

Verrichteter Dinge verlassen wir die Stadt und fahren sehr lange bis wir an einen Platz am Fuss einer Hügelkette eines östlichen Ausläufers des Urals kommen. Markus und ich diskutieren schon länger ob wir noch in Europa sind oder nicht. Können wir unsere neuen Vogelarten auf unsere Europa – oder Westpalaearktisliste zählen? Eine scheinbar müßige Frage, doch für viele ernsthafte Vogelbeobachter ist sie sehr wichtig. Ist der Uralfluss oder das Gebirge die Grenze? Markus meint schliesslich, dass es doch egal ist und so ist es auch. Die Landschaft bleibt ähnlich. Es ist sehr viel Wald hier und nur selten wird die Baumreihe am Strassenrand unterbrochen. Valerie erzählt und Voldya übersetzt erst widerwillig, doch zunehmend selber interessiert. Valeries Geschichte ist hoch interessant. Er ist gar kein Biologe wie Volodya erklärt. Er ist eigentlich Physiker und zwar Atomphysiker. Bis vor wenigen Jahren war er noch mit der geheim gehaltenen Plutoniumfabrik in Tschelyabinsk-4  der Sowjetunion involviert. Es war nicht ganz deutlich geworden, was seine Rolle dort war. Als promovierter Atomphysiker hatte er jedoch dort eine gute Stellung. Als 1987 Teile der Produktion, kurz nach Tschernobyl eingestellt wurden, wurde er arbeitslos, schulte auf Biologie um und ist nun einer der wenigen ornithologischen Koryphäen der Region.

Tschelyabinsk

Bereits im September 1957 kam es in Tschelyabinsk zu dem bisher schlimmsten Atomunfall der Geschichte, als Container mit radioaktivem Abfall explodierten und eine Fläche von 15,000 km2 verseuchten. Der Unfall, die Verstrahlung und die Folgen wurden lange geheim gehalten. Gleich nach dem Vorfall wurden gute 10.000 Menschen evakuiert und eine 15.000 km2 grosse Fläche kurzerhand als Naturschutzgebiet, das East Ural Naturreservat ausgezeichnet. Dieses darf auch heute noch nur mit besonderer Genehmigung betreten werden. Erst 1976, fast 20 Jahre später, erfuhr die Weltöffentlichkeit von dem Unglück. Ja, wir seien sehr nahe an dem Gebiet vorbeigefahren, sagt Valerie und deutet mit dem Arm in Richtung Osten. Wir machen eine kleine Pause. Vor uns stehen Schilder, die eine Abzweigung kennzeichnen, aber es ist nicht erkennbar, dass es sich um diese Fabrik handelt. Es scheint, dass noch immer nicht alles ans Licht gekommen ist. Auch Valerie lässt nicht alles raus. Es bestehe aber keine Gefahr auf Verstrahlung, meint er noch lapidar mit der mir schon vertrauten typischen abwinkenden Handbewegung. Lass uns lieber in dieser Pause etwas trinken, mahnt er an. Alexander winkt aber ab und wird auch bestimmter. Valerie kennt aber keine Scham mehr. Mehr und mehr verstehe ich ihn als einen gebrochenen Mann, der seinen Beruf, seine Bestimmung, seine Würde gar ein Stück weit verloren hat. Seine Ehe ist auseinandergegangen. War es der Alkohol oder war es umgekehrt? Ich weiss nicht, wie die Reihenfolge war. Er lässt sich gehen. Es ist ihm völlig egal, was die anderen denken. Er braucht auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen, aber er geniesst das Leben und unsere kleine Gemeinschaft. Prost! Er hat doch noch ein Flasche gefunden und ohne Alexanders Zustimmung geöffnet. Schliesslich ist er der Leiter. Doch diesmal lacht keiner. Es ist einfach zu traurig und ich fühle mit Valerie.

Das East Ural Naturreservat

Ein eigenartiges Gefühl befällt mich. Wir sind unweit von einem der wohl gefährlichsten und unwirtlichsten Plätze der Welt. Zugleich fühle ich mich aber wohl in der Gemeinschaft meiner herzlichen russischen Freunde, auch läßt die fantastische Landschaft in strahlender Sonne kaum weitere ungute Stimmung aufkommen. Dennoch bleibt es unbestritten, dass unweit von hier auch jetzt noch Reaktoren für die friedliche Nutzung, aber auch für das riesige Atomwaffenarsenal Russlands produziert werden.

Lange bleibt es still. Jeder ist bei seinen Gedanken. Einige dösen ein wenig bei der langen Fahrt. Abends erreichen wir einen neuen Platz. Es sieht hier ganz anders aus, wieder weniger Wald und mehr Steppe aber auch mehr landwirtschaftliche Nutzfläche. Unser Lager ist im Schutz eines kleinen Wäldchen am Rande eines kleinen Baches. Doch ist mir immer noch etwas kalt von der Infektion. Vielerorts finden sich noch Mitte Mai kleine Reste von Schnee. Das Wetter hat die letzten drei Tage wieder umgeschlagen  und ein eisiger Wind bläßt beständig von Norden. Die Temperaturen gehen nachts weit unter Null und tags kaum über drei Grad. Ich friere und spüre, dass meine Infektion doch noch nicht ganz überwunden ist. Und obwohl ich eine dicke warme Jacke trage ist mir kalt. Mir wird ein Mantel übergeworfen. Es ist ein besonderer Mantel, ein Tulup, ein großer, russischer, sehr warmer und schwerer Mantel! Ich darf auch im windgeschützten Wagen schlafen.

Lagerplatz
Abendessen mit wilden Zwiebeln

Ornithologische Kostbarkeiten

Während die anderen am nächsten Morgen die neue Umgebung absuchen, bleibe ich nahe dem Lager und bewege mich nur zögerlich langsam in der vorwiegend genutzten Landschaft vorwärts. Es ist immer wieder spannend einen neuen Ort durch die Vögel kennenzulernen. Als erstes fällt auf, dass es hier Moorschneehühner gibt. Schon mehrmals habe ich nun das charakteristische Kekkern gehört und einmal sogar kurz im auffliegenden Vogel die weissen Flügel gesehen. Eigentlich habe ich sie hier gar nicht vermutet, kenne ich sie doch nur aus dem hohen Norden in der Tundra und der Bergregion Skandinaviens. Doch eine weitere Überraschung läßt mein Herz kurz stehen: Ein Brachvogel, ja sogar ein kleiner Brachvogel! Ist es etwa doch der so seltene und von vielen gar als ausgestorben angesehene Dünnschnabelbrachvogel? Im Balzflug segelt er relativ dicht vorbei. Deutlich ist zu erkennen, dass es sich um einen wesentlich kleineren Brachvogel als den bekannten Großen Brachvogel handelt. Die Unterflügel sind eindeutig hell. Auch der Ruf ist anders, eher so wie ein Regenbrachvogel. Aber sie brüten doch nur in der Tundra und nicht hier so weit südlich oder ist es gar der Steppenregenbrachvogel, eine kaum bekannte und wenig beschriebene Unterart des nordischen Regenbrachvogels? Volodya hatte davon erzählt und wahrscheinlich ist es eher dieser, wenn auch genauso selten. Auch die Steppenform des Regenbrachvogels hat einen hellen Unterflügel genauso, wie der Dünnschnabelbrachvogel und wiederum kommen leichte Zweifel auf.

Ich komme langsam im Schutz einer Hecke näher an den Vogel heran. Es ist nun eindeutig, mit dem deutlichen Scheitelstreif ist es doch ein Regenbrachvogel und ich weiss nicht, ob ich enttäuscht bin, dass es kein Dünnschnabelbrachvogel ist oder froh sein soll, dass ich einen so seltenen Watvogel hier vor mir habe. Ein bisschen ähnlich sind sie sich doch. Ich bemerke dass die beiden Vögel ein eigenartiges Verhalten zeigen, dass auf mögliche Brut hindeutet. Ich beobachte sie noch ein wenig und dann setzen sie sich tatsächlich. Ein Nest! Unglaublich!  Ohne es aus den Augen zu lassen und ohne auf die schwachen Kniee zu achten, steuere ich nun, den dunklen Tulup umgeschlagen, direkt auf das Nest zu. Vor mir liegen auf dem schütteren Boden vier Eier. Die Altvögel warnen kurz. Ich mache schnell ein Photo und ziehe mich schnell wieder zurück, damit das Nest sofort bei der Kälte wieder gehudert werden kann. Auf dem Rückweg fällt mir noch ein weiteres Paar auf. Dieses hat ein Nest mitten auf einem frisch gepflügten Acker, was mich sehr erstaunt. Noch mehr erstaunt ist Volodya, der sichtlich beeindruckt meinem Bericht zuhört und sich die Nester zeigen läßt. Er kann seine Anerkennung nicht ganz verhehlen und ich bin froh , dass ich als westlicher Taugenichts nicht nur ein Hindernis darstelle. Es seien erst das vierte und fünfte Nest, das überhaupt von dieser Unterart je gefunden wurde, versetzt Voldya, nicht ganz ohne anzudeuten, dass er eines davon gefunden hat.

Nestfunde sind im Gegensatz zur Sichtung seltener Vögel aus russischer Sicht sehr wichtig und werden mehr anerkannt als eine Seltenheit. Oft werden solche Nester auch noch gesammelt. Das Beobachten und Bestimmen von Vögeln ist in Russland weniger bekannt und wird weniger gepflegt als das traditionelle Sammeln von Balgen, Eiern und Nestern. Volodya sammelt auch im Auftrag des Zoologischen Museums in Moskau, doch bin ich mir diesmal sicher, dass er sich nicht an den beiden Nestern vergreifen wird. Insgesamt schätzten wir den Bestand des seltenen Regenbrachvogels hier auf acht bis neun Paare. In den folgenden Jahren ist Volodya fast alljährlich in die Region gereist. Nicht ein einziges Mal hat er eine weitere Population gefunden. Es ist zu befürchten, dass sich diese kleine Population auch nicht mehr lange halten wird. Doch immerhin sind im Jahre 2015 an der Küste von Mozambique zwei Altvögel dieser Unterart fotografiert worden.

Edik hat derweil mit seinen Netzen im Bach Glück gehabt und bereitet eine hervorragende Fischsuppe (ucha) aus einer Vielzahl von verschiedenen kleinen Fischen über dem Lagerfeuer vor. ‚Ucha bis vodka ne ucha‘ (Fischsuppe ohne vodka ist keine Fischsuppe) meint Valerie und alle anderen stimmen zu. Alexander hat im Bach den seltenen Krebs Triops gefunden, ein Relikt aus tiefer Vorzeit, der 100 Millionen Jahre ohne große Veränderung überlebt hat. Valerie berichtet von einem Doppelschnepfenbalzplatz, den er vor einigen Jahren in der Nähe gefunden hat und heute zusammen mit Volodya mindestens 25 Männchen dort gezählt hat. Es ist doch immer wieder erstaunlich, was Valerie hervorzaubert. Auch berichtet er am nächsten Tag von einem Steppenweihennest mit vier Eiern. Er ist ein wirklich guter Beobachter und das macht ihm sichtlich Spass. Der Doppelschnepfenbalzplatz wurde dann am nächsten Tag ein wichtiger Ausflug.

Es ist ein gutes Stück zu laufen und ich fühle langsam meine Kräfte wiederkommen. Wir müssen schon recht nahe an den Balzplatz kommen, bevor wir das Knebbern der Schnepfen vernehmen können. Es klingt wie das Streichen auf einem Kamm, aber doch etwas melodischer und anders und es ist immer wieder ein tolles Erlebnis, diese merkwürdigen Vögel aus der Nähe zu beobachten. Der Balzplatz befindet sich in großer, seggenreicher, nasser Wiese. Es sind mindestens 20-25 Männchen, die hier eintreffen, die Vegetation heruntertreten und miteinander kämpfen. Anders als die anderen Schnepfen, wie Bekassine, Wald-und Zwergschnepfe, balzt die sonst sehr ähnliche Doppelschnepfe am Boden. Während des Knebberns stellt sich die Schnepfe aufrecht, Kopf und Schnabel 45 Grad hoch, Flügel abgespreizt und die weissen Schwanzfedern leuchten ausgefächert. Danach kriechen sie merkwürdig geduckt am Boden entlang und verfangen sich unter den kritischen Augen der stillen Weibchen mit anderen in kleinen Scheinkämpfen.

Ein wirklich sehr schöner Abschluss und leider ist es an der Zeit, sich von unseren russischen Freunden zu trennen, um rechtzeitig zum runden Geburtstag unseres Freundes Djenya in Moskau zu sein. Auf dem Rückweg sehen wir Jungfernkraniche, Schwarzflügel-Brachschwalben und noch vieles mehr.