Kim Stanley Robinson – Erzähler des Klimawandels

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Fritz Heidorn

Erschienen in: Das Science Fiction Jahr 2021 (2021). Hirnkost Verlag, Berlin. S. 109 bis 124.

Kim Stanley Robinson ist einer der anerkanntesten, wissenschaftlich orientierten Science-Fiction Schriftsteller der USA. Er wurde bekannt vor allem durch seine Mars-Trilogie, beschäftigt sich aber bereits seit zwanzig Jahren hauptsächlich mit dem Thema „Klimawandel“ und hatte dazu mehrere Romane vorgelegt, bevor er im Jahre 2020 mit „The Ministry for the Future“ (2020) sein Meisterwerk über die Klimawandel-Zukunft veröffentlicht. Zu dessen Vorläufern gehören „Green Earth“ (2015), eine gekürzte Version seiner vorigen Bücher der „Science in the Capital“- Serie: „Forty Signs of Rain“ (2004), „Fifty Degrees Below“ (2005), „Sixty Days and Counting“ (2007) sowie „New York 2140“ (2017).

Robinson wurde für sein umweltpolitisches Engagement im Jahre 2008 von Time Magazine als „Hero of the Environment“ ausgezeichnet. Die Zeitschrift „The New Yorker“ hat ihn als einen der wichtigsten politischen Schriftsteller, der heute in Amerika arbeitet, bezeichnet. Robinson hat für seine Romane zahlreiche Preise erhalten, unter anderem im Jahre 2016 den „Robert Heinlein Award“ „für außergewöhnliche Veröffentlichungen im Bereich der Science-Fiction oder technischer Veröffentlichungen, die die menschliche Erforschung des Alls inspirieren“ sowie im Jahre 2017 den „Arthur C. Clarke Award for Imagination in Service to Society“. Robinson wurde zweimal, in den Jahren 1995 und 2016, von dem „U.S. National Science Foundation´s Antarctic Artists and Writer´s Program“ in die Antarktis geschickt, um Literaturstudien zu betreiben. Robinson arbeitet noch heute mit dem „Sierra Nevada Research Institute“ zusammen und ist ein begeisterter Bergsteiger.

Buchcover „Science Fiction Jahr 2021”. Erschienen im September 2021 im Hirnkost Verlag, Berlin.

Biografie

Kim Stanley Robinson wurde am 23. März 1952 in Waukegan, Illinois, geboren und zog mit seinen Eltern zwei Jahre später nach Orange County, Kalifornien, um. Zur Science-Fiction kam der junge Student Robinson, als er im Jahre 1971 auf dem College war und sich sein Interesse an dieser Literaturgattung im Laufe seines Studiums verstärkte. Robinson studierte Literaturwissenschaft an der University of California – San Diego (UCSD), an der er im Jahre 1974 seinen B.A. in Literaturwissenschaft erhielt. In dieser Zeit entwickelte er die Idee für eine Trilogie von Romanen, die sich mit unterschiedlichen Zukunftsentwicklungen von Süd-Kalifornien beschäftigen würden. Daraus entstanden die Romane „The Wild Shore“ (1984, deutsche Ausgabe: „Das Wilde Ufer“, 2016, Heyne), „The Gold Coast“ (1988, deutsche Ausgabe: „Goldküste“, 2016, Heyne), „Pacific Edge“ (1990, deutsche Ausgabe: „Pazifische Grenze“, 2016, Heyne).

Robinson verließ Kalifornien dann für eine kurze Zeit, um seinen M.A. in Englischer Literatur an der Boston University im Jahre 1975 zu machen und kehrte später an die UCSD zurück, um mit einer Dissertation über die Romane von Philip K. Dick seinen Doktortitel in Literaturwissenschaften, den Ph.D. zu erwerben. Einer seiner Betreuer für die Dissertation war Fredric Jameson, der ihn zu der Arbeit über Philip K. Dick ermutigte, weil er diesen für den größten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart hielt. Robinson sagt über seine Dissertation: „Der Doktortitel war ein Job, er hat mich bezahlt… Doktortitel in englischer und amerikanischer Literatur mit ein bisschen Französisch drin, also kenne ich diese Literatur. Fredric Jameson (für Französisch) als Berater, der sagte: Ja, schreib über Philip K. Dick, er ist der größte amerikanische Schriftsteller.“ Er bekam seinen Doktortitel im Jahre 1982 und veröffentlichte seine Arbeit in veränderter Form auch in Deutschland, erschienen als „Die Romane des Philip K. Dick“ (2005) im Shayol Verlag Berlin.

Im Jahre 1978 war Robinson für einen Unterbrechungszeitraum von seiner Dissertation nach Davis, Kalifornien, gezogen und lernte dort seine spätere Frau, Lisa Howland Nowell, eine Umweltchemikerin, kennen. In dieser Zeit arbeitete Robinson in einem Buchladen und begann seine Bergwandertouren in der Sierra Nevada von Kalifornien. Nach dem Abschluss seiner Promotion im Jahre 1982 zog Robinson zurück nach Davis und Lisa und er heirateten und bekamen später zwei Söhne. Robinson unterrichtet die Studienanfänger an der University of California, Davis, in Literatur und intensivierte sein Schreiben. Lisa und er gingen für ein Post-Doc-Studium von Lisa für zwei Jahre nach Zürich in der Schweiz und lebten dort in den Jahren 1986 und 1987, zwei der besten Jahre ihres Lebens, wie Robinson in einem Artikel für eine Zeitschrift in Zürich im Jahre 2021 schreibt. Für den Weg von Kalifornien nach Zürich nahm sich das Ehepaar vier Monate Zeit und machte Station in Thailand, Nepal, Ägypten, den griechischen Inseln Kreta, Rhodos und Santorini, Venedig und fuhr von dort aus mit dem Zug über die Alpen nach Zürich. Aus dieser Reise sowie aus dem Aufenthalt in der Schweiz sind mehrere Ideen für Romane von Kim Stanley Robinson entstanden. Robinson begann sein Leben als professioneller Schriftsteller.

Danach zogen die Robinsons für vier Jahre nach Washington, D.C., wo er ein Leben als Schriftsteller und Erzieher seines ersten Sohnes David verbrachte, während Lisa wissenschaftlich tätig war. Die später erschienen Trilogie „Science in the Capital“ ist maßgeblich in dieser Zeit entstanden. Im Jahre 1991 gingen die Robinsons zurück nach Davis und erwarben ein Haus in einer Gemeinschaftswohnanlage, in Village Homes. Der zweite Sohn Tim wurde geboren. Lisa Nowell arbeitet seitdem als promovierte Umweltchemikerin beim „United States Geological Survey/USGS“ und dem „California Water Science Center“ und Kim Stanley Robinson wird durch die Veröffentlichung seiner Mars-Trilogie zu einem berühmten Science-Fiction Schriftsteller.

Science-Fiction

Kim Stanley Robinsons erster veröffentlichter Roman war „Icehenge“ (1984, deutsche Ausgabe: „Die Eisigen Säulen des Pluto“, 2016). In diesem Roman geht es um die Erforschung der äußeren Planeten des Sonnensystems, fünfhundert Jahre in unsere Zukunft versetzt. Die inneren Planeten sind bereits besiedelt, nun stoßen Menschen bis zum Planeten Pluto vor und entdecken dort ein gigantisches Monument aus Eisblöcken, das nicht von Außerirdischen, sondern von Menschen errichtet worden ist. Die Geschichte wird von Robinson in drei Zeitabschnitten und Handlungsebenen erzählt. Der erste Teil spielt im Jahre 2248 während der politischen Revolution auf dem Mars. Eine Ingenieurin wird von den Revolutionären auf dem Mars gekidnappt, um zur Entwicklung einer interstellaren Reise beizutragen, entscheidet sich aber letztendlich dagegen und kehrt zum Mars zurück. Dreihundert Jahre später erforscht ein Archäologe die gescheiterte Revolution auf dem Mars und findet das Tagebuch der Ingenieurin in den Ruinen einer alten Stadt. Zur gleichen Stadt wird am Nordpol des Pluto ein mysteriöses Monument entdeckt, das ebenfalls in dem Tagebuch erwähnt wird. Im dritten Teil der Erzählung besucht der Urenkel des Archäologen das Monument auf Pluto, das sich als vergrößerte, aus Eis geformte Version von Stonehenge herausstellt. Untersuchungen des Monuments bestätigen, dass sowohl das Tagebuch als auch das Eismonument von einer reichen Geschäftsfrau hinterlassen wurden, die zurückgezogen im Orbit des Saturn lebt.

Die Orange County Trilogie

„The Three Californias Trilogy“, auch „Orange County Trilogy“ genannt, besteht aus den Romanen: „The Wild Shore“, (1984, deutsche Ausgabe: “Das Wilde Ufer”, 2016), „The Gold Coast“ (1988, deutsche Ausgabe: “Goldküste”, 2016), „Pacific Edge“ (1990, deutsche Ausgabe: “Pazifische Grenze”, 2016).

Kim Stanley Robinsons Trilogie über die drei Entwicklungsmöglichkeiten von Kalifornien, auch „Orange County Trilogy“ genannt, sind drei Variationen über die Entwicklung Kaliforniens, eine post-apokalyptische, eine dystopische und eine utopische Variante. „The Wild Shore“ ist 1984 erschienen, „The Gold Coast“ 1988 und „Pacific Edge”1990. Der erste Band spielt in den Jahren 2047/2048, der zweite Band erzählt die Geschichte von Jim McPherson, der im Jahre 2027 27 Jahre alt ist und der realen Person des Autors sehr nahekommt. Der dritte Band ist inhaltlich gesehen eine Art von kritischer Weiterführung der Visionen von Ernest Callenbachs Buch „Ökotopia“, die dieser in seinem Buch „Ecotopia“ (1975, deutsche Ausgabe: „Ökotopia. Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahre 1999“, 1978) entworfen hatte. Robinson schildert das Leben von Kevin Claiborne, der als Mitglied der grünen Partei in El Modena, Kalifornien, um das Jahr 2065 herum lebt und gegen die Umwandlung eines Naturareals in einen kommerziellen Industriekomplex ankämpft. Die utopischen Visionen von „Pacific Edge” (1990) dienten Robinson als Grundlage für seine thematisch weiterführenden Erzählungen in der Mars-Trilogie.

Kim Stanley Robinson hat im Jahre 1994 einen Sammelband mit Kurzgeschichten neuer literarischer Erzählungen über Ökotopia herausgegeben: Kim Stanley Robinson (Editor): „Future Primitive: The New Ecotopias“ (1994). Er schreibt in seiner Einführung über die Rolle von Science-Fiction Erzählungen als Gedankenexperimente:

„Science-Fiction ist eine Sammlung von Gedankenexperimenten, die Szenarien für die Zukunft vorschlagen. Alle Science-Fiction-Geschichten tragen eine implizite Geschichte in sich, die ihre Zukunft mit unserer Gegenwart verbindet. Sie sind historische Simulationen, die in der Gegenwart beginnen und dann sagen, wenn wir dies tun, kommen wir hier an, oder wenn wir jenes tun, kommen wir dort an. Es ist eine Denkweise, die in ihrem Funktionsprinzip utopisch ist, denn sie geht davon aus, dass Unterschiede in unseren Handlungen jetzt zu realen und einigermaßen vorhersehbaren Konsequenzen später führen werden – was bedeutet, dass das, was wir jetzt tun, von Bedeutung ist. Science-Fiction ist ein Spiel, das uns lehrt, wie wir uns verhalten sollen, wie das Ringen von Tigerjungen.“

Die Mars-Trilogie als modernes Utopia

Berühmt wurde Robinson durch die Veröffentlichung seiner Mars-Trilogie: „Red Mars“ (1992, deutsche Ausgabe: Roter Mars, 2015), „Green Mars“ (1993, deutsche Ausgabe: Grüner Mars, 2015), „Blue Mars“ (1996, deutsche Ausgabe: Blauer Mars, 2015), „The Martians“ (1999)).

Die Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson wird von vielen Kritikern als eines seiner Meisterwerke und als Beispiel für die gelungene Beschreibung eines modernen Utopia in der gegenwärtigen Science-Fiction Literatur angesehen. Er beschreibt darin die Kolonialisierung und das Terraforming des Planeten Mars durch Menschen und beginnt mit dem ursprünglichen Zustand des Roten Planeten bei deren Ankunft, während die Folgebände seine Veränderung hin zu einem durch Pflanzen besiedelten grünen und später zu einem durch flüssiges Wasser charakterisierten blauen Planeten illustrieren. Die ersten einhundert Kolonisten errichten im Jahre 2027 dauerhafte Siedlungen auf dem Mars und der Autor schildert die technischen Möglichkeiten und die sozialen Konflikte der ersten Siedler. Im ersten Band geht es um revolutionäre Aufbruchsstimmungen und um technische Großprojekte, im zweiten Band um die Ausbeutung der Ressourcen des Planeten und die Gegenpositionen ökologischer Gruppen, im dritten Band stehen die sozialen Probleme der alt und aristokratisch gewordenen ersten Einhundert im Vordergrund. Der Mars ist jetzt unabhängig und ein der Erde ähnlicher Planet geworden, von dem aus das Sonnensystem kolonialisiert wird.

Die Erzählungen sind ausführlich und umfangreich, für manche Leserinnen und Leser vielleicht zu ausführlich, aber insgesamt derart farbig und detailliert, dass die Romane als Standardwerke über den Mars und die weitergehende Besiedlung des Sonnensystems angesehen und mit mehreren Auszeichnungen versehen wurden. „Roter Mars“ bekam im Jahre 1993 den „Nebula-Award“, die zwei Folgebände erhielten jeweils den „Hugo“- und den „Locus-Award“ in den Jahren 1994 und 1997.

Fredric Jameson hat eine literarisch-philosophische Analyse dieses Werks von Robinson in seinem Essay „If I can find one good city I will spare the man“: Realism and Utopia in Kim Stanley Robinson´s Mars Trilogy” in seinem Buch „Archaeologies of the Future. The Desire Called Utopia and Other Science Fictions“ (2005, 2007) vorgelegt. Jameson bezeichnet die Mars-Erzählungen als ein gigantisches, besonderes Labor, in dem die einzelnen Variablen niemals in der üblichen Weise isoliert werden könnten, sondern in einer Vielfalt koexistieren würden, die kaum durch Gleichungen oder Computer gelöst werden könnten. Daten seien nicht das Material für die Beschreibung eines naturwissenschaftlichen Weltbildes, sondern der Hintergrund für spekulative Problemlösungen, die nicht durch den Planeten vorgegeben seien, sondern durch die Menschen selbst: „In der Tat hat man den Eindruck, dass der ursprüngliche Planet weniger oft direkt zu den Siedlern spricht als deren eigene Zukunftsprojekte.“ (Seite 405. „Indeed, one´s impression is that the òriginal`planet speaks less often directly to its settlers than their own future projects.”)

Die Mars-Trilogie sei ein Beispiel für den „Wertewandel“ zu einer utopischen Gesellschaftsform, in der (das Leben auf dem Mars) sowohl das Patriarch als auch Eigentum und Besitz abgeschafft worden seien. Robinson meistere den Einsatz von vielen Wissenschaften in seinen Erzählsträngen und das Thema des „Terraformings“, also der Umwandlung des öden Planeten Mars in eine erdähnliche und für Menschen bewohnbare Welt, sei „der utopische Moment par excellence in diesem großen historischen Abenteuer“ (S. 405. „…the utopian moment par excellence of this grand historical adventure.“), aber in Wahrheit ginge es immer um die Probleme der Menschen, die sie von der Erde und ihrer eigenen Vergangenheit zum Mars mitgebracht hätten, um dort eine neue Zukunft zu begründen. Der Mars sei ein Spiegel, in dem die Erde ihr eigenes Wesen sehe. Es gehe um sozialistische und kooperative gesellschaftliche Alternativen und Ideologien (zum Leben auf der Erde) und der Mars sei ein Ort der unerfüllten anti-kapitalistischen Versprechungen.

Jameson bewertet die drei Bände der Mars-Trilogie als eine einzige, zusammengehörende Erzählung und als einen Roman – im Gegensatz zu der echten Trilogie der Orange County Bücher. Die Mars-Trilogie sei ein gelungenes Beispiel für die imaginative Kraft von Utopien. „Doch die Utopie als Form ist nicht die Darstellung radikaler Alternativen; sie ist vielmehr einfach der Imperativ, sie sich vorzustellen.“ (S. 416. „Yet Utopia as a form is not the representation of radical alternatives; it is rather simply the imperative to imagine it.”)

Der utopische Visionär

Kim Stanley Robinson genießt in den USA ein hohes Ansehen, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als politischer und philosophischer Kommentator des Zeitgeschehens und möglicher gesellschaftlicher Veränderungen. Die „L.A. Times Review of Books“ nannte Robinson „unseren letzten großen utopischen Visionär“ und das Magazin „The New Yorker“ bezeichnete ihn als „einen der bedeutendsten politischen Autoren, der heute in Amerika arbeitet“. Kim Stanley Robinson genießt ein hohes Ansehen als eine Art moralische Instanz der Science-Fiction Literaturszene und ist am Beginn des 21. Jahrhunderts zu Fragen von Klimawandel und Utopien als fast so bedeutend einzuschätzen wie Arthur C. Clarke als Visionär der Weltraumfahrt und als geopolitischer Zukunftsdenker im 20. Jahrhundert. Robinsons Rat ist gefragt und seine Bücher haben Bestseller-Status. Sein letztes Buch, „The Ministry for the Future“ (2020), war Teil der Empfehlungsliste von Barack Obama für die besten Bücher des Jahres 2020, es erscheint am 11. Oktober 2021 unter dem Titel „Das Ministerium für die Zukunft“ bei Heyne.

Kim Stanley Robinson hat in einem Vortrag auf einer wissenschaftlichen Konferenz über Utopia in Melbourne, Australien, die eine Woche vor der 68sten „World Science Fiction Convention (Worldcon)“ ebendort stattgefunden hatte, einen Vortrag gehalten, der transkribiert und unter dem Titel „Remarks on Utopia in the Age of Climate Change“ im Arena Journal No. 35/36 vom Januar 2011 veröffentlicht worden ist. Diese Version ist auffindbar unter: https://arena.org.au/remarks-on-utopia-in-the-age-of-climate-change/, abgerufen am 22.3.2021. Der Essay wurde später wiederveröffentlicht in: Utopian Studies, Vol. 27, No. 1  (2016), published by Penn State University Press. Robinson war Ehrengast auf der 68sten Worldcon. In diesem Vortrag finden sich zahlreiche kluge Bemerkungen über Utopien, utopisches Denken, Visionen, Philosophie und die Rolle von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften sowie die Aufgabe von Science-Fiction, wie Robinson es sieht. Hier seine Bemerkungen über die Wissenschaft:

„Während ich die Mars-Trilogie schrieb, oder vielleicht auch schon vorher, begann ich, die Wissenschaft als einen anderen Namen für den utopischen Weg zu sehen, oder als das, was Williams die lange Revolution nannte. Das lag zum Teil daran, dass ich mit einer Wissenschaftlerin verheiratet war und die Wissenschaft in Aktion sah, aus nächster Nähe, und es lag zum Teil daran, dass ich darüber nachdachte. Wir neigen dazu, die Wissenschaft bei ihrer eigenen Selbsteinschätzung zu nehmen, und wir sind es nicht gewohnt, darüber nachzudenken, dass die Utopie vielleicht schon teilweise da ist, ein Prozess, für den wir kämpfen oder gegen den wir kämpfen. Aber mir erschien die Idee der Wissenschaft als ein utopisches Werden, das sowohl wahr als auch nützlich ist, als Anregung für weitere Geschichten und Handlungen in der Welt.”

Erzähler des Klimawandels

Kim Stanley Robinson schreibt seit vielen Jahren über das Thema Klimawandel. Die erste Erzählung dazu ist “Venice Drowned“ (1981), gefolgt von „Glacier“ (1988) und der “Science in the Capital”-Trilogie, deren drei Bände „Forty Signs of Rain“ (2004), „Fifty Degrees Below“ (2005), „Sixty Days and Counting” (2007) später zusammengefasst und gekürztals “Green Earth” (2015) veröffentlicht werden. Im Jahre 2017 erscheint „New York 2140“ (2017).

Kim Stanley Robinson im Klimahaus Bremerhaven 2017

Das Meisterwerk „The Ministry for the Future” (2020) stellt den derzeitigen Höhepunkt der narrativen Kunst von Robinson zum Klimawandel dar.Das Buch hat eine enorme Resonanz in den USA erzielt und der Autor wurde zu zahlreichen Interviews und Stellungnahmen eingeladen. Als Beispiel sollen hier ein Ausschnitt aus einem Interview mit Kim Stanley Robinson, Elizabeth Kolbert und Jeff Biggers auf der Webpage des „Commenwealth Club of California“ vom 19. Februar 2021 wiedergegeben werden. Elizabeth Kolbert ist Journalistin bei der Zeitschrift „New Yorker“ und Autorin des Buches Under a White Sky: The Nature of the Future (2021), in dem sie die vielen Wege untersucht, mit denen die Menschen die Natur des Planeten verändert und zerstört haben sowie Wege in der Zukunft, die verbliebene Natur zu bewahren. Jeff Biggers ist Journalist, der über den Einfluss der Kohle-Industrie auf sein Heimatland Süd-Illionois geschrieben hat und seine Frustration durch den Aufbau des „Climate Narrative Projects“ in Aktivität umgewandelt hat.

Robinson sagt in dem Interview über sein Buch The Ministry for the Future (2020):

„Vor 20 Jahren schrieb man darüber und war nur ein Journalist, der sich auf eine wilde Verfolgungsjagd begab, oder ein Science-Fiction-Autor, der eine unplausible Zukunft schilderte, jetzt ist jeder dabei. Ich habe mir das als das hoffnungsvollste Ergebnis für die nächsten 30 Jahre vorgestellt, an das man noch glauben kann, wenn man bedenkt, wo wir jetzt stehen.“

Wissenschaft und Politik

Robinson bezeichnet die Wissenschaft als „seinen utopischen Weg“ oder als das, was Raymond Williams, der britische marxistische Kulturtheoretiker, als „die lange Revolution“ bezeichnet. Robinson ist mit einer Naturwissenschaftlerin verheiratet und sieht die Wissenschaft in Aktion, wie er sagt. Ihm erscheint die Wissenschaft als „ein utopisches Werden, das sowohl wahr als auch nützlich ist, als Anregung für weitere Geschichten und Handlungen in der Welt“. Deshalb ist „Antarctika“ (1997) der Roman von Robinson über den utopischsten Ort auf der Erde und gleichzeitig der Roman über den „Kontinent der Wissenschaft“. In dieser Erzählung kommen die Hauptinteressen von Robinson zusammen: Wissenschaft, Utopia, Wildnis, Berge, Gletscher und das Bestehen des Menschen in der Natur.

Dennoch ist Robinson niemals ein trockener Wissenschaftsreporter, sondern eher ein philosophisch und politisch argumentierender Erzähler. In den Mars-Bänden beschreibt Robinson drei Revolutionen, und zwar deshalb, weil er sich in dem vorigen Roman, in „Pacific Edge“ (1990) noch nicht getraut habe, politisch radikaler zu argumentieren, wie er selbst sagt. In seinen späteren Romanen entwickeln sich die politischen Narrative von Robinson weiter, vor allem in seinen Büchern über den Klimawandel. Während in der „Science in the Capital“-Trilogie noch das gegenwartsbezogene Wirken der Klima-Politik in Washington im Vordergrund steht, beschreibt der Autor in seinem letzten Buch, dem „Ministerium für die Zukunft“ (2021) den globalen Blick auf die Klimapolitik der Menschheit sowohl wissenschaftlich analysierend als auch radikal in seinen Konsequenzen herausarbeitend und schildert die politischen, philosophischen, finanztechnischen und alltagsbezogenen Umsetzungen. Die Leserinnen und Leser finden einen Reichtum an Erzählsträngen vor, der der Komplexität des Themas gerecht wird.

Schreiben über den Klimawandel

Kim Stanley Robinson erläutert die Entstehungsgeschichte seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Thema Klimawandel in dem Buch: Kim Stanley Robinson und Fritz Heidorn: Erzähler des Klimawandels – Das Kim Stanley Robinson Lesebuch, dasim März 2022 im Hirnkost-Verlag, Berlin, erscheinen wird.

„Mein Interesse am Klimawandel wurde über viele Jahre hinweg langsam geweckt.  Ich glaube, es begann mit meiner Beschäftigung mit Science-Fiction in den frühen 1970er Jahren.  In jenen Jahren gab es einen recht aktiven Strang der Science-Fiction, der sich mit Planeten beschäftigte, deren Klima sich von dem der Erde unterschied, und auch mit der Erde selbst in verschiedenen Epochen ihrer Klimageschichte. Frank Herberts „Dune“ zum Beispiel handelte von einem Wüstenplaneten. Ursula Le Guins „Die linke Hand der Finsternis“ spielt auf einem Eisplaneten, der in der Landessprache Winter genannt wird. Es gab Geschichten, die ausschließlich ozeanische Planeten beschrieben, und J.G. Ballard begann seine Karriere mit der Beschreibung der Erde, die radikale Klimakatastrophen verschiedener Art durchmacht.  Ich vermute, dass sich dieser Strang der Science-Fiction aus zwei Geschichten entwickelte, die die Wissenschaft in den Jahrzehnten zuvor erzählt hatte, davon ist eine wahr, die andere falsch: Um 1840 entdeckten Agassiz und andere, dass die Erde große Eiszeiten erlebt hatte; und um 1900 erklärte Percival Lowell, dass eine Marszivilisation mit einem austrocknenden Planeten zurechtkam, indem sie Kanäle baute. Diese Geschichte war zunächst Science-Fiction und inspirierte alle Mars-Geschichten; inzwischen wurde die Eiszeit schnell zur Grundlage für einen weiteren Strang spekulativer Fiktion. Es läuft darauf hinaus, dass es „Klima-Fiktion“ schon gab, bevor der Begriff  „Science-Fiction“ existierte.  Es ist auch der Fall, dass es bereits „Terraforming-Fiction“ gab: Jules Verne beschrieb, wie er Meerwasser in die Sahara pumpte, um riesige Seen zu schaffen und die Region zu verändern, damit es mehr regnete, und so weiter.“

Als ich jedoch meine Mars-Trilogie schrieb, war mir bewusst, dass sich das Klima auf der Erde erwärmt, und dass das gefährlich ist. Ich arbeitete an der Trilogie von 1989 bis 1995, und in diesen Jahren bekam das Thema immer mehr Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Literatur. Die Gipfeltreffen von Rio und Kyoto brachten ebenfalls viel Aufmerksamkeit für das Problem. Als ich also meine Mars-Bücher schrieb, war ich mir sehr bewusst, dass die Veränderung der Mars-Atmosphäre sich nicht großartig von der Veränderung der Erdatmosphäre unterscheidet. Ich erfuhr von der Instabilität des westantarktischen Eisschildes und machte dies zu einem Hauptmerkmal meiner Geschichte in „Grüner Mars“ und „Blauer Mars“.

Ich würde sagen, dass alle meine Bücher, die bei Orbit Books erschienen sind, angefangen mit dem Roman „2312“, auf die eine oder andere Weise mit dem Klimawandel zu tun haben. Manchmal habe ich mich dem Thema indirekt genähert, wie in „Schamane“, „Aurora“ und „Roter Mond“; manchmal war es das Thema, das im Mittelpunkt des Romans stand, wie in „2312“, „New York 2140“ und „Das Ministerium für die Zukunft“. Mir scheint, dass die sich anbahnende Realität des Klimawandels und auch, als katastrophale Folgeerscheinung, ein Massenaussterben, in unserer Zeit so groß und präsent sind, dass sie alle möglichen Geschichten, die in den nächsten Jahrhunderten spielen, überdeterminieren.“ 

Das Ministerium für die Zukunft

Am 6. Oktober 2020 erscheint in den USA der neue Roman von Kim Stanley Robinson mit dem Titel: „The Ministry for the Future“ (2020), die deutsche Ausgabe erscheint unter dem Titel „Das Ministerium für die Zukunft“ (2021) am 11. Oktober 2021 bei Heyne. Dieses Buch des Bestseller-Autor Robinson ist sein Meisterwerk über die Folgen des Klimawandels für die Menschheit und die Biodiversität des Planeten Erde, eine dramatische und drastische Parabel auf das, was kommen und auf das, was verhindert werden könnte, wenn die Menschheit zusammensteht. Robinson bezeichnet dieses Buch als seinen Beitrag „über das gute Anthropozän“ und er zieht alle Register des Storytellings, um die Leserinnen und Leser in seinen Bann zu ziehen. Im Dezember 2020 ist die Hardcover-Erstauflage in den USA ausverkauft und das Buch erscheint auf der Leseliste der besten Bücher des Jahres 2020 von Ex-Präsident Barack Obama. Eine bessere Werbung kann man sich für einen Science-Fiction Roman kaum vorstellen. Wohlgemerkt: für einen Science-Fiction Roman, der eigentlich ein politischer und interkultureller, globaler und komplexer Gegenwartsroman ist.

Buchcover: „Das Ministerium für die Zukunft“. Erschienen im Oktober 2021 bei Heyne, München.

Die Erzählung beginnt, ungefähr dreißig Jahre in unsere Zukunft versetzt, mit dem Satz: „Es wurde immer heißer“. Einer der Protagonisten des Romans, der Entwicklungshelfer Frank May, erlebt im Norden Indiens eine unerträgliche und tödliche Hitzewelle, die Millionen Menschen umbringt. Das Lesen des ersten Kapitels des Romans ist kaum auszuhalten, denn Robinson schildert die verzweifelten und vergeblichen Versuche von Menschen im Umfeld des Entwicklungshelfers, dem Hitzetod zu entkommen. Das erste Kapitel endet mit dem Satz: „Alle waren tot.“

Der Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ (2021) beginnt mit einem dramatischen Auftakt, entwickelt sich dann aber zu einer Erzählung der Hoffnung. Die Vereinten Nationen beschließen die Gründung eines Zukunftsministeriums in Zürich, das im Auftrag der kommenden Generationen, sowohl der Menschen als auch der Biodiversität des Planeten, Vorsorge treffen soll, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Die Leitung wird einer ehemaligen irischen Premierministerin übertragen, Mary Murphy, die ihre Aufgabe – zwischen Tatkraft und Verzweiflungsphasen changierend – übernimmt und schließlich zu einem guten Ende führt. Dazwischen lesen wir eine Fülle von Erzählsträngen, Ideen, politischen und technischen Kommentaren, kurz, ein Kaleidoskop von Interpretationen zum Thema Klimawandel, das anfangs etwas verwirrend erscheint, zumindest für diejenigen, die eine stringente Erzählweise bevorzugen, das aber interessant ist für alle, die die Komplexität des Themas begreifen wollen. Robinson fordert seine Leserinnen und Leser heraus, er regt sie an, ihn auf seinem Weg der schwierigen Lösungsfindung zu begleiten und er regt sie auf, um viele denkbare Irrwege und Umwege hin zu positiven Entwicklungen zu beschreiten.

Robinson hat in seinem Roman nicht nur die Vielfalt der Zugänge zum Thema des Klimawandels eingearbeitet, sondern hat auch die Möglichkeiten erweitert, was ein Roman über seine Erzählstränge hinaus leisten kann. Die Einschübe von naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen, politischen Kommentaren und kindgerechten Rätseln wird der Komplexität des Themas gerecht und bietet allen Lesern eine Fülle von Anregungen.

Das Kapitel 2 beginnt mit einem der zahlreichen „Rätsel“, die der Autor in seinen Roman eingebunden hat. Wir lesen die Vorstellung eines Unbekannten:

„Ich bin ein Gott und ich bin kein Gott. So oder so, ihr seid meine Geschöpfe. Ich halte euch am Leben. Innerlich bin ich unbeschreiblich heiß, und doch ist mein Äußeres noch heißer. Bei meiner Berührung verbrennt ihr, obwohl ich mich außerhalb des Himmels drehe. Wenn ich meine großen, langsamen Atemzüge mache, friert ihr und brennt, friert und brennt. Eines Tages werde ich dich essen. Im Moment ernähre ich dich. Hüte dich vor meinem Blick. Sieh mich niemals an.“

Eine lyrische Beschreibung der Sonne, wie die Leser es sofort begreifen.

Im politischen Zentrum der Haupt-Erzählung steht die Frage von internationaler Kooperation. Die Regierung Indiens tritt nach der Hitzewelle, die Millionen von  toten Indern zur Folge hat, aus allen internationalen Verträgen aus und geht seinen eigenen verzweifelten Weg, indem es die Atmosphäre mit Schwefeldioxid anreichert, um, ähnlich wie beim Ausbruch des Pinatubo im Jahre 1991, eine künstliche Wolkenbildung zu induzieren, die die Sonneneinstrahlung dämpfen und für Abkühlung sorgen soll. Das Zukunftsministerium muss sich mit solchen internationalen Streitfragen auseinandersetzen, aber auch mit globalen Finanzierungsmechanismen und interkulturellen Streitfragen, immer mit dem Ziel verbunden, die globale Emittierung von Kohlenstoffdioxid auf ein verträgliches Maß zu reduzieren.

Im philosophischen Zentrum der Haupt-Erzählung stehen Fragen von Gerechtigkeit und der Notwendigkeit von Gewaltanwendung, um Gutes zu erreichen. Welche Mittel sind legitim, um den Planeten zu retten? Es entstehen mehrere internationale Terrororganisationen, unter anderem die „Children of Kali“, denen es gelingt, den Flugverkehr auf der Welt durch einen einzigen Terrorakt komplett lahmzulegen. Sie sprengen simultan ungefähr vierzig Flugzeuge in die Luft, mit dem Effekt, das am nächsten Tag niemand mehr in ein Flugzeug steigen will. Ähnlich ergeht es dem Container-Schiffsverkehr und anderen globalen Handelsverbindungen. Sie werden von heute auf morgen ausgeschaltet, die globale Ökonomie kollabiert. Mary, die Leiterin des Zukunftsministeriums, verzweifelt über ihrer Hilflosigkeit und sagt zu ihrem Stabschef Badim, einem Inder aus Lucknow, der Hauptstadt von Uttar Pradesh, dass das Ministerium eigentlich einen Geheimdienst für die dreckigen Anteile an der Arbeit benötigen würde. Badim antwortet, dass er einen solchen Geheimdienst schon lange gegründet habe, ohne sie zu informieren. Was hat dieser Geheimdienst getan, um den Planeten zu retten?

In einem der Höhepunkte der Erzählung beschreibt der Autor Situationen, die zwischen der Philosophie der Gewaltlosigkeit von Ghandi, dem „Satyagraha“, und dem nötigen Kampf gegen die strukturelle Gewalt von politischen Systemen, wie sie der Friedensforscher Johan Galtung als „strukturelle Gewalt“ beschrieben hat, hin- und her schwanken. Badim fliegt eines Tages zurück in seine Heimatstadt Lucknow und trifft sich dort mit den „Children of Kali“. Im Kapitel 78 lesen wir eine berührende interkulturelle Auseinandersetzung über Gewalt und Gewaltlosigkeit, als Badim versucht, die Kinder von Kali davon zu überzeugen, dass ihr Kampf nun eine andere Form annehmen muss.

„… und ich sage euch, es ist Zeit, sich zu ändern. Die großen Verbrecher sind tot oder im Knast, oder untergetaucht und machtlos. Wenn ihr also weiter tötet, dann nur, um zu töten. Selbst Kali hat nicht getötet, nur um zu töten, und das sollte sicherlich kein Mensch. Die Kinder von Kali sollten auf ihre Mutter hören.

Wir hören auf sie, aber nicht auf dich.

Er sagte: „Ich bin Kali.“

Plötzlich spürte er das enorme Gewicht dessen, die Wahrheit darin. Sie starrten ihn an und sahen, wie es ihn erdrückte. Der Krieg um die Erde hatte Jahre gedauert, seine Hände waren blutig bis zum Ellbogen. Einen Moment lang konnte er nicht sprechen; und es gab nichts mehr zu sagen.“

Der Roman endet positiv, die Menschheit bekommt nach vielen Umwegen und Irrwegen die Reduktion des Ausstoßes der Treibhausgase in den Griff und die Folgen des Klimawandels werden spürbar geringer. Mary trifft sich am Ende des Romans mit ihrem Freund Arthur auf einem Musikfestival und unterhält sich mit ihm:

„Wir werden weitermachen“, sagte sie in ihrem Kopf zu ihm – zu allen, die sie kannte oder jemals gekannt hatte, zu all den Menschen, die so in ihr verstrickt waren, lebend oder tot, „wir werden weitermachen, wir werden weitermachen, weil es so etwas wie Schicksal nicht gibt. Weil wir nie wirklich zum Ende kommen.“

Der Roman „The Ministry for the Future“ (2020) von Kim Stanley Robinson ist nach meiner Einschätzung das Meisterwerk zum Thema Klimawandel und eine hoffnungsvolle Allegorie darauf, was die Menschen bewirken können, wenn sie ihre Zukunft selbst gestalten. Es gibt nicht so etwas wie „Schicksal“, das ist die zentrale Botschaft des Romans, sondern nur unser gemeinsames Bemühen um eine gute Zukunft.

Science-Fiction und Klimawandel

Wissenschaft ist die Grundlage für die Wahrnehmung und das Verständnis des komplexen und weit in die Zukunft reichenden Themas des Klimawandels. Die naturwissenschaftliche Methode des Forschens und Vergleichens von Daten beruht im Kern auf Rationalität und Vergleichbarkeit. Aus den gewonnenen Daten werden Schlüsse für mögliche Veränderungen gezogen und als Vorhersagen bekannt gemacht, die in der Öffentlichkeit positiv oder manchmal negativ aufgenommen werden. Die trockene Rationalität der wissenschaftlichen Methode ist für viele Menschen schwer nachzuvollziehen, deshalb kommt der Literatur eine besondere Rolle zu, um die Ergebnisse wissenschaftlicher Expertisen mit der Methode der Imagination zu erweitern. Auch dies ist eine Aufgabe der Science-Fiction: Menschen in ihrem Alltagsleben mit spannenden Erzählungen für diese Thematik zu interessieren, zu begeistern und eventuell zu eigenen Aktionen anzuregen. Woher nehmen beispielsweise die Aktivistinnen und Aktivisten der „Fridays for Future“-Bewegung ihre Motivationen, ihre Energie und ihr Durchhaltevermögen? Gute Erzählungen können helfen, können aufregen und anregen – und sie können sogar Ermutigung für eigenes Tun geben. Kim Stanley Robinson sagt dazu:

„Es wurde die Frage gestellt, was meiner Meinung nach Science-Fiction tun kann, um den Menschen zu helfen, den Klimawandel in den Griff zu bekommen und hoffentlich gut damit umzugehen. Ich denke, es hat mit Geschichten zu tun, in die man so tief eintaucht, dass es so ist, als ob man diese Ereignisse selbst erlebt hätte. Alle Belletristik ist in diesem Sinne Science-Fiction: Es geht um Zeitreisen, indem man über andere Zeiten und Orte liest; und es geht um Telepathie, indem man endlich die Gedanken anderer Menschen hören kann.  Natürlich sind das fiktive Erlebnisse, aber fiktive Erlebnisse sind in einem gewissen Sinne reale Erlebnisse, die so stark sind, dass sie mentale Auswirkungen haben. Es fühlt sich an, als hätte man die Dinge, über die man in einem Roman gelesen hat, selbst erlebt. So fühlt es sich für mich an.

Es ist also klar, dass das Schreiben von Science-Fiction, die die Erfahrung schildert, durch noch nicht-existierende Stadien des Klimawandels zu leben, den Menschen helfen kann, sich vorzustellen, wie es sein wird; und das könnte Verhaltensänderungen bewirken, die dann die bevorstehenden Schäden reduzieren. Ich hoffe es. Es ist einen Versuch wert. 

Geschichten sind die Art und Weise, wie wir Bedeutung schaffen, also sind die Geschichten, die wir uns erzählen, wichtig.“

Die in diesem Essay vorgestellten Überlegungen werden vertieft in dem Buch: Kim Stanley Robinson und Fritz Heidorn: „Erzähler des Klimawandels – Das Kim Stanley Robinson Lesebuch“, erscheint im März 2022 im Hirnkost-Verlag, Berlin.