Mein Haus in Horn
von Fritz Heidorn
Diese Erzählung bringt die Vergangenheit eines verlassenen Grundstücks, das von der Natur zurückerobert wurde, wieder in unser Bewusstsein. Das Unbewusste und Unverarbeitete wird an die Oberfläche des Bewusstseins gespült und öffnet unsere Sinne für das Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Bewusstem und Unbewusstem und von Gewolltem und Gewünschtem. Die Kurzgeschichte wurde von einem Team am Staatstheater Hannover in ein Video-Hörspiel umgearbeitet. Hörspielregie und Musik: Jonathan Heidorn, Sprecher: Torben Kessler, Illustrationen und Video: Thorben Schumüller.
„Die nächste Straße links, dann nach einhundert Metern rechts abbiegen in die Schumannallee“. Die Stimme des Bordcomputers meines BMW hatte mich in das grüne Viertel Bremens gelenkt, in dem mein Haus stehen sollte. Das Schreiben des Amtsgerichts Bremen hatte mich vor zwei Wochen in München erreicht und in eine verschollen geglaubte Vergangenheit geschickt. „Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Frau Clara Bernbacher, wohnhaft in der Schumannallee 5, im Alter von 92 Jahren am 14. Juni 2003 im St.Andreas Hospiz in Bremen verstorben ist. Sie hinterlässt keine Verwandten ersten Grades. Das Erbe von Frau Bernbacher geht deshalb an Sie als nächsten Verwandten über. Wir bitten Sie, zur Testamentseröffnung am 10. August 2003 im Amtsgericht Bremen, Raum B112 persönlich zu erscheinen.“
Tante Clara, du Holde, Gönnerin meiner Kindheit! Ich konnte mich noch dunkel an eine große, stattliche und schöne Frau erinnern, die uns gelegentlich in München besucht und mich mit wunderbaren Geschenken überhäuft hatte. In meinem Büro stand noch immer das Segelschiff mit den drei Masten und dem Namen der Stadt, in der Clara Bernbacher, die ältere Schwester meines Vaters, lange Zeit gelebt hatte: Bremen. Tante Clara war die Quelle unzähliger Geschichten meiner Kindheit, über die weite Welt und ihren Ehemann, der als Kapitän zur See ferne Länder bereiste. „Sie spinnt etwas“, hatte mir meine Mutter einmal zugeraunt, „Tante Clara ist gar nicht verheiratet“. (…) Fortsetzung folgt