Christoph Zöckler
Zollprobleme in Sibirien – erster Teil: Deputatsky
In Deputatsky werde ich von Ludmila abgeholt. Ich überreiche ihr einen Zettel, den Zhenya mir für sie mitgegeben hat. Sie erkennt mich noch von unserer Ankunft Anfang Juni. Es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Sie bringt mich in ein Gästehaus und versichert mir, dass sie mich am nächsten Morgen früh abholt und an den Flugplatz bringt. Mein Zimmer hat sogar einen Fernseher und durch Zufall verfolge ich einen Bericht zu einem neuen Schutzgebiet in Karelien, auf der anderen Seite von Russland an der finnischen Grenze, wo zu meiner großen Überraschung der Kollege Hannes Knapp von der Naturschutzakademie auf der Insel Vilm auf deutsch mit russischen Untertiteln den Wert des Schutzgebietes für den Naturschutz erläutert. Es erweckt ein wenig ein Gefühl, doch so langsam auf dem Weg zurück in die Heimat zu sein, aber dazu bedarf es doch noch einiger Anstrengungen.
Am nächsten Morgen scheint alles reibungslos zu verlaufen. Ludmila begleitet mich in der Schlange am Einscheckschalter für meinen Weiterflug nach Jakutsk. Es geht nur langsam voran und einige Herren, unschwer durch ihre dunklen Sonnenbrillen und Verhalten als besondere Gattung Mensch erkennbar, scheinen einen direkten Zugang zum Schalter zu haben. Zweimal passieren jeweils zwei Personen so direkt zum Schalter, ohne sich um die Wartenden zu scheren. Ich bin so ziemlich der letzte, der einscheckt. Ich bedanke mich bei Ludmila und verabschiede mich bei ihr, denn durch die Sicherheitskontrollen muss ich nun allein.
Eine freundliche Dame bittet mich, meinen Tagesrucksack aufzumachen. Sie fragt mich nach dem langen leicht gekrümtem, gut eingewickelten Zahn in meinem Handgepäck. Dies sei ein Geschenk meiner jakutischen Freunde, erwidere ich und hole den Mammutzahn aus der Verpackung. Sie wiegt ihn und befindet ihn mit gut 2kg als zu gross für ein Geschenk. Ich müsste den Zahn offiziell ausführen und es bedarf einer Genehmigung und überreicht mir ein in kurillisch und englisch gehaltenes Formular. Ich beginne meine Daten einzufügen und wir sind schon halbwegs durch. Die meisten Passagiere sitzen bereits im Flugzeug und warten. Doch die eiligen Passagiere, die sich nicht an die Schlange hielten und nun ungeduldig im Flugzeug warten, scheinen langsam die Geduld zu verlieren. Sie sind wieder ausgestiegen und fragen auf russisch, was denn los ist und warum es nicht weiter geht. Die Dame hält den Zahn hoch und erklärt, dass ein Formular ausgefüllt werden muss. Der sonnenbebrillte junge Mann greift nun nach dem Formular und zerreist es vor den Augen der Dame und mir und ruft noch ‚Pajechele‘, was soviel heisst, wie „lass uns los jetzt“. Leicht verdutzt und eingeschüchtert, gibt mir die Dame den Zahn zurück und bekräftigt noch: ‚Aber in Jakutsk, in Jakutsk muss ich den Zahn anmelden‘. Ja ja‘ beteure ich und steige unter den Blicken der anderen Gäste als letzter in das Flugzeug.
Der Flug verläuft ohne weitere Vorkommnisse und der Ausblick ist wie immer sensationell. Unter mir windet sich der riesige Lenafluss. Jetzt im Sommer, wo das Wasser gesunken ist, liegen riesige Sandbänke frei. Es erscheint bald, dass es mehr Sand als Fluss gibt. Die Wildheit des Flusses ist faszinierend. Schon im folgenden Jahr sollte ich zumindest Teile dieses riesigen Flusses näher kennenlernen.
Zollprobleme in Sibirien – zweiter Teil: Jakutsk
In Jakutsk, der regionalen Hauptstadt von Jakutien, erkläre ich meinem Freund Volodya, dass ich einen Mammutzahn mit mir führe und ihn hier irgendwo anmelden muss. Er wiegelt ab und sagt, dass hat noch Zeit. Nun soll ich erst zu ihm nach Hause kommen, mich ausruhen, Tee trinken und von der Expedition berichten. Volodya war nicht unerheblich an der Organisation unserer Expedition beteiligt. Als Vorsitzender des Nördlichen Forums steht er einer internationalen NGO vor, die sich um die Belange der nordischen Völker kümmert. Er ist somit auch als Jakute sehr gut vernetzt und hat großen Einfluss. Es gibt Tee und Fisch. Zum Abendessen nochmal Fisch, diesmal in Teich eingebacken und Reis dazu. Voldya hat ein paar Flaschen Bier besorgt. Letztere habe ich lange nicht mehr genossen und ich geniesse auch die Gastfreundschaft meiner jakutischen Freunde sehr. Es ist schon etwas besonderes hier mitten in Sibirien einen guten Freund zu wissen. Wir haben uns dreimal hier getroffen und sind immer noch in Kontakt. Zwischenzeitlich war er sogar bis zum Umweltminister von Jakutien aufgestiegen.
Wir sitzen auf dem Balkon. Es ist warm. Pazifische Mauersegler passieren den Abendhimmel. Es ist Sommer. Langsam wird es dunkel. Zum ersten Mal nach gut zehn Wochen sehe ich wieder Sterne. Auch dies erweckt ein wenig das Gefühl nun doch auf der Rückreise zu sein. Doch galt es immer noch ein paar Hürden zu nehmen. Für den nächsten Tag ist meine Abreise aus Jakutsk und mein Weiterflug nach Moskau vorgesehen. Der Flug dauert gut sechs Stunden und so gross ist auch der Zeitunterschied. Ich erinnere Voldya noch einmal an den Mammutzahn, doch er scheint kaum darauf zu reagieren. Erst später ist mir klar geworden, dass er hierauf keine klare Antwort wusste und es auf uns hat zukommen lassen. Wiederum stehe ich in der Schlange am Schalter und Volodya begleitet mich. Schliesslich kommt es wieder zur Gepäckkontrolle und wie in Deputatsky beginnt das gleiche Spiel von neuem. Es sei zu groß für ein Geschenk. Ja ich müßte ein Formular ausfüllen und schon bin ich wieder der letzte. Ich bemühe mich redlich, doch diesmal ist das Formular noch ausführlicher und die Zeit vergeht. Im Flugzeug warten nun immerhin gute 180 Passagiere. Diesmal ist es nicht die russiche Mafia, sondern eine Stewardess, die uns freundlich auffordert, doch das Flugzeug endlich zu besteigen. Wieder werde ich ermahnt: ‚Aber In Moskau, in Moskau müßte ich den Zahn auf jeden Fall anmelden!‘ Ich beteure es wiederum und steige wieder unter den skeptischen Blicken der bereits wartenden Passagiere in das Flugzeug nach Moskau.
Zollprobleme in Sibirien – dritter Teil: Moskau
Meine Freunde in Moskau sind skeptisch und meinen, ich hätte bisher Glück gehabt, den Zahn ohne große Schwierigkeiten bis hierher transportiert zu haben. Ich könnte es vielleicht im Museum mit einer Genehmigung versuchen, aber eine richtige Genehmigung würde Zeit brauchen und das würde ich nicht mehr schaffen. Im Zoologischen Museum besuche ich meinen Freund Pavel Tomkovich, der als Kustus die ornithologische Abteilung dort leitet. Wir hatten uns ohnehin verabredet und er ist gespannt zu erfahren, wie es uns und mir im Norden des Janadeltas ergangen ist. Er selbst ist seit 1972 jede Saison in der russischen Arktis gewesen, aber diese Ecke des Riesenreiches kannte er noch nicht. Als ich auf den Mammutzahn zu sprechen komme, schaut er mich etwas mitleidig an. ‚Ich befürchte, ich kann dir da nicht weiterhelfen. Eine Genehmigung von mir wird nicht zählen.‘ Er schlägt vor, ihn besser hier zu belassen, denn in Moskau würde ich kein Glück haben und auch das Hauptgepäck wird durchgesucht. Mit dem Zug kann man den Knochen eher ausführen.
Zollprobleme in Sibirien – vierter Teil: London
So bin ich ohne den Mammut-Zahn wieder nach England zurückgekehrt, mit dem unsicheren Gefühl, das sibirische Andenken womöglich nie wieder zu sehen. In England gab es genügend Abwechslung. Die Monate vergingen und ich vereinbarte mit meinem Arbeitgeber, dem World Conservation Monitoring Centre (WCMC) für den November einen Vortrag über meine Expedition nach Sibirien für die gesamte Belegschaft im Rahmen einer Vortragsreihe des Zentrums zu halten. Genau einen Monat vorher erhalte ich ein Fax, was damals bereits ungewöhnlich war, denn E-mail hatte sich bereits durchgesetzt. Doch im entfernten finnischen Oulo war E-mail noch nicht weit verbreitet. Zhenya reiste dort mit dem Zug zu einer Konferenz zum Schutz arktischer Gänse. Der Text seines Fax lautete. ‚Christoph, ich habe deinen Zahn hier. Wenn Du willst, kann ich ihn dir von hier aus per Post für 17 USD schicken. Bitte gib mir Bescheid.‘ Natürlich willigte ich ein. Aber anstatt des Paketes erhielt ich einige Tage später einen Brief der britischen Zollbehörde vom Heathrow Airport:
‘Lieber Herr Zöckler, uns hat ein Paket in einer ungewöhnlichen Form erreicht, das an Sie addressiert ist. Können Sie sich bitte zu dem Inhalt äussern?‘ Nun war ich in der Annahme, dass die Einfuhr von Mammutknochen nicht den Zoll- und Einfuhrbestimmungen in Grossbritannien widerspricht, doch die Behörden vermuteten natürlich aufgrund der Form und des Gewichts eher Elefantenelfenbein. Und dies unterliegt natürlich den international vereinbarten Einfuhrbeschränkungen von Elfenbein. Nun ist gerade unser Institut, das WCMC sehr eng mit der Konvention zum Handel von gefährdeten Tieren und Tiermaterialien (CITIES) befasst und ich konnte umgehend den Kollegen John Caldwell um Rat befragen. Er bestätigte auch sofort, dass Mammutelfenbein nicht unter die CITIES Bestimmungen fällt und eingeführt werden darf und half mir eine entsprechende Antwort zu formulieren.
Ich möchte die Geschichte nicht noch weiter in die Länge ziehen. Der Zahn wurde zwar freigegeben, musste aber noch nach Cardiff, um dort von einer anderen Behörde auf die Hygiene hin geprüft werden. Schliesslich aber erhielt ich das Paket Ende November genau einen Tag vor meinem Vortrag und ich konnte ihn stolz neben meinem Wollnashornkiefer meinen Kollegen präsentieren.
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Dr. Christoph Zöckler
Seit Kindesbeinen ist Christoph Zöckler an der Natur interessiert und schon als Jugendlicher hat er sich für den Naturschutz eingesetzt. Nach dem Biologiestudium in Kiel und Aberdeen arbeitete er für die Umweltstiftung WWF-Deutschland und WWF-International im Feuchtgebietsschutz in Norddeutschland und in Polen und später an der Universität Bremen. Die Verlockung der russischen Arktis führte ihn über das “World Conservation Monitoring Centre“ der UNEP in Cambridge, U.K., viele Male in die Wildnis der russischen Arktis und von dort, den wandernden Wasservögelarten folgend, in die Küstengebiete Südost-Asiens, wo er die letzten zwölf Jahre beim Schutz der Watten und Mangroven engagiert ist. Seit 1996 hat er seinen Lebensmittelpunkt nach Cambridge verlagert, besucht aber regelmäßig als Butenbremer seine alte Heimat in Deutschland, wo er auch als Berater für die „Manfred Hermsen Stiftung“ und den NABU tätig ist.