Pendler zwischen den Welten oder Vermittler zwischen den Kulturen?
Von: Christoph Zöckler
Sprache und Kultur
Sprache ist ja der Schlüssel zum Verständnis eines Volkes und seiner Kultur und mit dem Erlernen derselben erschliesst sich immer mehr ein intimer Zugang zum Verständis der Kultur. Die englische Sprache ist eine Mischmasch aus vielen Regionen, geprägt durch die Herkunft vieler Völker in Europa und später durch das weltweite Imperium des Britischen Reiches. Viele Worte sind dem deutschen Sprachraum entlehnt, wie cow = Kuh. Viele aber auch dem französischen, vor allem wenn es ums Essen geht, wie beef = boef. Es gibt noch viele Beispiele, doch sei hier vor allem darauf hingewiesen, dass sich schon in der Sprache eine klare Trennung vom europaeischen Festland herausgebildet hat. Aber die meisten Völker in Europa haben ihre eigene Sprache und verstehen sich untereinander kaum. Was ist es aber, dass die Engländer noch mehr vom Rest der Euopäer absondert?
Sie fahren auf der anderen Straßenseite und dies ist sicherlich abgesehen von Irland einzigartig in Europa, nachdem die Schweden bereits 1966 auf den Rechtsverkehr umgestellt hatten. Im Straßenverkehr sind Engländer wesentlich weniger freundlich als im persönlichen Umgang. Fußgänger und Radfahrer werden beim links abbiegen geschnitten und Fußgänger sind schon darauf getrimmt und halten an, obwohl sie auf der Hauptstrasse gehen. Allerdings gibt es in Grossbritannien ein Tempolimit und nicht diese irrwitzige Raserei wie auf der deutschen Autobahn. Auch haben Engländer ihre eigenen Essgewohnheiten und zu Unrecht einen schlechten Ruf. Dabei haben sich die Bemühungen von wöchentlichen, fast täglichen TV- Kochprogrammen in den letzten 30-40 Jahren, wie Delia Smith, Jamie Oliver , oder Heston Blumenthal mit ihren jeweiligen kulinarischen Schwerpunkten oder ‚The Great British Bake off‘ doch ausgezahlt und die englische Küche ist unter dem Einfluss der indischen Küche und manch anderen Einflüssen aus den früheren Kolonien besser geworden. Dass sich dies noch nicht in alle Landesteile vorgedrungen ist, ist ein anderes Problem.
Englische Eigentümlichkeiten
Es gibt noch viele andere Eigentümlichkeiten. So war z.B. der Klempner verwundert, als ich mich nach dem Einbau der neuen Dusche beschwerte, dass ich sie nicht richtig auf kalt stellen könnte. Mit grossem Unverständnis fragte er mich, wozu ich denn eine kalte Dusche benötigte, was nochmal die Aussagen meiner Frau bestätigte, dass in England niemand kalt duschen würde. Dies sind alles interessante und amüsante Geschichten, aber sie charakterisieren dennoch nicht, was die wesentlichen Unterschiede der beiden Gesellschaften sind. Aus englischer Sicht wird der Deutsche immer noch als gut durchorganisierter effizienter Maschinenbauer charakterisiert, der gleichzeitig auch noch viel zu gut Fussball spielen kann, zumindest bis vor kurzem. Interessanterweise bleibt auch das Urteil, der Deutsche verstehe keinen Humor, hartnäckig bestehen. Inzwischen ist mir aber klar geworden, dass es eher damit zu tun hat, dass der Engländer ganz einfach nicht die deutsche Sprache versteht. Natürlich beobachtet er die eher nüchterne Körpersprache und dass die Deutschen zur Karnevalszeit besonders jeck werden, überinterpretiert dies allerdings, dass der Humor auf eine kleine Zeit im Jahr begrenzt ist.
Auf der anderen Seite hingegen ist der schwarze britische Humor in Deutschland sehr beliebt. Die seit über 30 Jahren regelmäßig im deutschen Fernsehen zu Sylvester laufende englische Komödie ‚Dinner for One‘ ist allerdings erstaunlicherweise niemandem in Grossbritannien bekannt. Mir persönlich gefällt besonders der sich selbst nicht so wichtig nehmende Humor der Briten und ich habe versucht, Teile davon selbst anzunehmen. Humor ist vielleicht ohnehin die idealste Plattform, auf der sich beide Kulturen auf hohem Niveau am ehesten mischen können. In der Sprache geht dies zwar schon auch, aber es dauert doch sehr lange, auch wenn gerade so Modewörter wie ‚Zeitgeist‘ in die englische Sprache der Interlektuellen eingeflossen sind, ohne dass sie richtig aussgesprochen werden. Humor bietet da mehr Flexibilität und das sich selbst nicht so Ernst nehmende Element kann man je nach Gelegenheit und Gustaeu mit dem deutschen Mutterwitz oder dem Humor des Spielens mit dem Unmöglichen vermischen.
Jenseits des Humors: Konkurrenz
Jenseits des Humors – und selbst der Brite kann manchmal sehr ernst werden— besteht aber auch die Konkurrenz, das Bestreben der Erste und der Beste zu sein und dabei fällt es auf, das die britische Selbstverständlichkeit tief verwurzelt im imperialen Denken ist und sich durch das frühere Grossmachtdenken eine Selbstwahrnehmung ableitet, die auch heute noch eine Selbstsicherheit ausstrahlt, die schon arrogant wirken kann, die auch oft dann den anderen nicht mehr so leicht toleriert. Sie steht ganz klar im Gegensatz zu dem eher defätistischen Kleinmut, den heute immer noch die meisten Deutschen an den Tag legen. Und da bin ich mir auch nicht sicher. Vielleicht ist es auch besser so, denn das Grossmaul steht dem Deutschen nicht so gut. Zu sehr ist unser und auch das Selbstverständnis nachfolgender Generationen noch von den jüngsten Geschehnissen aus der Nazi-Verganegenheit geprägt und wir halten uns oft bescheiden zurück. Dabei habe ich aus der Sicht eines Butenbremers, eines Deutschen der lange Jahre Deutschland aus der Ferne beobachtet, viele Gründe, stolz auf unsere Errungenschaften oder noch viel mehr auf die Verarbeitung oder vielleicht Bewältigung unserer Nazi-Vergangenheit zu sein, wenngleich es immer noch viel zu tun gibt.
Das Erbe der Vergangenheit
Nicht ohne Grund sind Deutsche nach Ruanda zur Bewältigung und Aufarbeitung des Genozids an den Tutsi aufgefordert worden. Denn, wie keine andere Nation hat sich die deutsche mit ihrer Vergangenheit, wenn auch anfangs sehr zögerlich beschäftigt. Einigen ist es auch schon zuviel, aber es zahlt sich langsam aus. Der Ruf des Deutschen ist weltweit gestiegen. Russland, die Türkei, selbst die Schweiz und natürlich auch Grossbritannien haben sich nicht oder nur halbherzig mit der jüngsten Vergangenheit und den Verbrechen des Riesenkolonialreichs, der Unterdrückung der Völker und der Sklaverei bis zu den Verbrechen in den letzten beiden Weltkriegen auseinandergesetzt. Dies führt dann auch zu den Kriegen der Neuzeit, wie dem Falklandkrieg und dem Irakkrieg, die mit einer Selbstverständlichkeit geführt, gerechtfertigt und von der Mehrheit der Bevölkerung getragen werden, wie es in Deutschland nicht möglich war und ist. Hier besteht ein Riesennachholbedarf für Grossbritannien und die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte, das sich im Siegerbewusstsein und Wissen des Selbstgerechten badenden, beginnen sich nun einzuholen. Der Brexit ist letztendlich auch ein Resultat aus der nicht verarbeiteten Geschichte. Die ‚Black Live Matters‘ Bewegung schliesst sich daran unmittelbar an und basiert auf ähnlichen, nicht verarbeiteten geschichtlichen Prozessen.
Wir Deutsche hatten es insofern auch leichter als unsere Schuld und Sehnsucht nach Sühne zu gross war, bei vielen anderen Völkern jedoch weniger offensichtlich ist und wesentlich mehr Aufmerksamkeit und Arbeit bedeuten wird.
Leben in zwei Kulturen
Es gibt zu viele schöne Seiten, Erlebnisse und Freunde auf beiden Seiten. Ich versuche, beides nach Belieben und gut Glück aufzufangen und schätze mich glücklich, in beiden Kulturen gelebt zu haben und weiterhin leben zu können. Letztendlich sind die Unterschiede minimal, eine Vermischung ist bereichernd und die langen Jahre des Friedens sind nicht wirklich gefährdet.
Solange es geht, werde ich Pendler und vielleicht auch ein wenig Vermittler zwischen den beiden Kulturen bleiben und immer weiter zwischen den beiden Ländern reisen. Vielleicht auch Corona-bedingt, bestehen zwar zurzeit übermäßig große Hürden im Reiseverkehr. Fast wöchentlich ändern sich die Ein- und Ausreisebestimmungen. Die Fallstricke im Kleingedruckten sich immer schwerer aufzuspüren. Ob ich bei meiner Wiedereinreise nach England den alten Gouda ‚Old Amsterdamer‘ mitnehmen darf? Ein kleines Restriskio bleibt immer. Vielleicht sollte ich mich glücklich schätzen, wenn sie mir nur den Käse wegnehmen.
Dr. Christoph Zöckler
Seit Kindesbeinen ist Christoph Zöckler an der Natur interessiert und schon als Jugendlicher hat er sich für den Naturschutz eingesetzt. Nach dem Biologiestudium in Kiel und Aberdeen arbeitete er für die Umweltstiftung WWF-Deutschland und WWF-International im Feuchtgebietsschutz in Norddeutschland und in Polen und später an der Universität Bremen. Die Verlockung der russischen Arktis führte ihn über das “World Conservation Monitoring Centre“ der UNEP in Cambridge, U.K., viele Male in die Wildnis der russischen Arktis und von dort, den wandernden Wasservögelarten folgend, in die Küstengebiete Südost-Asiens, wo er die letzten zwölf Jahre beim Schutz der Watten und Mangroven engagiert ist. Seit 1996 hat er seinen Lebensmittelpunkt nach Cambridge verlagert, besucht aber regelmäßig als Butenbremer seine alte Heimat in Deutschland, wo er auch als Berater für die „Manfred Hermsen Stiftung“ und den NABU tätig ist.