Entwicklungen und Erinnerungen

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2020 war ein Annus horribilis, ein schreckliches Jahr, in dem die Menschheit den Umgang mit einer neuen Pandemie lernen musste. Das Jahr 2021 verspricht besser zu werden als das letzte. Der Impfstoff gegen Covid-19 ist auf den Markt und die Impfungen beginnen im globalen Maßstab. In den USA wird am 20. Januar 2021 der neue Präsident Joe Biden in sein Amt eingeführt und er hat versprochen, zum Pariser Klimaabkommen zurückzukehren. Die Gegenwart verschmilzt mit den Zukunftshoffnungen des Herbstes 2020 und fegt die Horrorvisionen von einer untergehenden Menschheit der letzten Monate vom Tisch. Wir atmen auf und nähern uns wieder aneinander an.

Wir sehen wieder Positives auf allen Ebenen des menschlichen Handelns. Nichtsdestotrotz gibt es viel zu tun, um die positiven Trends zu unterstützen und abzusichern – und die Ungleichheiten der Lebenschancen für alle auszugleichen. Die Fakten der Wissenschaft bilden das Fundament für rationale Entscheidungen im politischen Handeln, aber Musik und Kultur in einer interkulturellen Prägung erwärmen unser Herz und öffnen uns für gute Gedanken. Aus diesem Grunde soll das Motto für den Jahresbeginn 2021 bei uns heißen:

Music is where Words end and life talks!

The Lineman, Davis, Kalifornien, September 2019. (Aus dem Buch „Fremde zu Freunden“)

Am zweiten Abend saßen wir auf der Veranda des Hotels und aßen Abendbrot. Am Nebentisch saß ein etwa vierzigjähriger Mann, allein und in sein Essen vertieft. Nach einiger Zeit fragte er freundlich, der uns hatte Deutsch sprechen hören, hinter meinem Rücken: „Where are you from?“ Ich drehte mich um und so begann ein einstündiges Gespräch über den Lineman, das mich sehr beeindruckte.

Nachdem wir die üblichen Freundlichkeiten ausgetauscht hatten, wie wir Kalifornien denn so fänden und dass er Bayern München und deutsche Autos möge und wir sagten, dass wir Werder Bremen vorziehen würden und Tesla Elektromobile, erzählte er aus seinem Leben. Er stellte sich mit seinem Beruf vor, als Netzelektriker, der hier mit mehreren Kollegen in diesem Hotel wohne und die elektrischen Leitungen in der Region reparieren würde. Er sei Leiter einer Gruppe und müsse junge Kollegen anleiten, die alle noch grün hinter den Ohren seien und keine Ahnung von der Ernsthaftigkeit des Jobs hätten. Die Stromversorgung in Kalifornien ist fast ausschließlich oberirdisch und bei den großen Entfernungen sehr störanfällig. Sie würden zwei Monate am Stück arbeiten und dann für zwei Monate nach Hause, nach Colorado, fliegen. Er könne zweitausend US-Dollar in der Woche verdienen und damit seine Familie unterhalten. Es sei ein harter Job, Tag und Nacht im Einsatz, und bei dem trockenen Klima in Kalifornien würden überall und ständig Waldbrände auflodern und ihre Arbeit zunichte machen. Es sei kein Ende ihrer Mühen absehbar, der Job sei nie erledigt und die jungen Kollegen seien sich ihrer Verantwortung nicht bewusst. Erfahrung sei das Wichtigste im Job, nur das zähle. Sein Job sei gut bezahlte Knochenarbeit und er hoffe, dass er das noch lange machen können. Ob es im Übrigen stimme, dass man auf den deutschen Autobahnen so schnell fahren könne, wie man wolle? Er wolle gern mal mit einem BMW…

Er erzählte noch vieles aus dem Job und seinem Leben. Er konnte gut erzählen und es war interessant, was er sagte und ein kleiner Bericht über ein gänzlich neues Arbeitsfeld und Leben für mich. Das Gespräch endete damit, dass wir aufstanden, uns die Hände schüttelten und er sagte: It was nice talking to you. My name ist Jeff, take care and enjoy California. Es war eine kurze Begegnung mit einem Unbekannten, aber sehr warmherzig und freundlich und sie ist mir in Erinnerung geblieben. Ich würdigte seine Arbeit und sagte, dass sie so wichtig sei wie die der Feuerwehrleute, die die Brände in Los Angeles bekämpften. Die Feuerwehrleute und die Linemen seien die wahren Helden Amerikas und er nickte stolz und schwieg.

Mir fiel sofort nach dem Ende des Gesprächs ein, woher ich diesen Menschentypen kenne, unbekannterweise, aber irgendwie vertraut:

Aus Glen Campbells berühmten Lied: The Wichita Lineman:

I am a lineman for the county and I drive the main road
Searchin‘ in the sun for another overload
I hear you singing in the wires I can hear you through the whine
And the Wichita lineman is still on the line…

Das Gespräch war ein Beispiel dafür, dass alle guten menschlichen Begegnungen schon besungen wurden oder besungen werden müssen.